Arbeitskampf - Gesellschaft in Geiselhaft?
Die Veranstaltung „Arbeitskampf – Gesellschaft in Geiselhaft?“ setzte sich am 9. Mai 2016 mit den Arbeitskämpfen der letzten Zeit auseinander, bei denen große Teile der Gesellschaft über längere Zeiträume insbesondere im Bereich der Dienstleistungen (Bahn, Kita, Flughäfen) massive Einschnitte in das eigene Leben hingenommen haben.
Herr Prof. Dr. Kempen führte in den Abend mit einem Grundlage schaffenden Vortrag ein, in dem er die Begrifflichkeiten differenzierte und dabei den grundlegenden Gedanken des deutschen Streikrechts, der Gründung von Interessengemeinschaften unter Arbeitnehmern/Gewerkschaften auf der einen und Arbeitnehmerverbänden auf der anderen Seite erörterte. Folgende Aspekte waren für die weitere Diskussion am Abend von besonderer Relevanz: - Der Aspekt der Aufhebung des Konkurrenzverhältnisses unter Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern zur Aushebelung von Wirtschaftsstrategien, die immer billigere Arbeitskräfte gewinnen woll(t)en. - Auftreten als Tarifpartner auf Augenhöhe mit den Arbeitgebern. - Streikrecht, wenn vereinbarte Löhne nicht eingehalten werden. - Bisher gibt es hierzu keine eindeutige Gesetzeslage. Den rechtlichen Rahmen bietet die Rechtsprechung.Das neue Tarifeinheitsgesetz soll diese „Lücke“ schließen. - Medien gewinnen in diesem Feld an Einfluss. Warnstreiks dienen heute hauptsächlich der Wirkung in der Öffentlichen Meinung.
Als Gäste im anschließenden Podium konnten wir folgende Protagonisten aus dem Bereich Arbeitskampf begrüßen: Ingolf Schumacher, Vorsitzender Tarifpolitik, Vereinigung COCKPIT e.V., Frankfurt. Prof. Dr. Wolfgang Schröder, Universität Kassel Detlef Raabe, Bereichsleiter Organisationspolitik, ver.di, Berlin Roland Wolf vom BDA in Berlin hat seine Teilnahme leider sehr kurzfristig abgesagt. Frau Dr. Bertelmann vom Zentrum Gesellschaftliche Verantwortung übernahm die Moderation. Zum Einstieg in das Thema wurde ein Beitrag des MDR gezeigt, in dem die Stimmung von Familien deutlich wurde, die mit dem mehrwöchigen Streik an Kitas 2015 umgehen mussten.
Hier wurde ganz deutlich, wie die Stimmung von Solidarität, Unterstützung und Verständnis umschlägt in Unverständnis und Frust über mangelnde Kompromissbereitschaft in den Verhandlungen. Ingolf Schumacher, der als Vertreter einer Spartengewerkschaft eingeladen war, machte die Strategie der Pilotenvereinigung deutlich, die er als Antwort auf die Strategien der Unternehmen versteht: die internationale Vernetzung von Interessenvertretungen der Arbeitnehmer. COCKPIT selbst hat sich unter dem Lable „DACH“ mich Österreichischen und Schweizer Pilotenverbänden zusammengefunden, um gemeinsam gegen die Strategien der Lufthansa zu agieren, die „teuren“ Tarifverträge der langjährigen Lufthansa-Piloten zu agieren. Detlef Raabe betont in seinem Statement, dass ver.di im Fall von Arbeitskämpfen immer mehr Augenmerk auf Information, „Vorwarnung“ und Transparenz legt, da die Öffentliche Meinung für die Wirkung von Arbeitsniederlegungen von immer größerer Bedeutung sind.
Medien und damit die Öffentlichkeitsarbeit rund um geplante Streiks werden wichtiger, wodurch das Instrument des Warnstreiks auch immer mehr „Schlagkraft“ entwickelt hat. Prof. Wolfgang Schröder zeigt am Beispiel der Chemie-Branche, dass es zwischen den Tarifpartnern auch aufgrund von öffentlicher Wahrnehmung zu erstaunlich „partnerschaftlichen“ Entwicklungen kommen kann. Das schlechte Image der Chemie-Industrie in den 60er- und 70er-Jahren führte dazu, dass die IG Chemie gemeinsam mit den Unternehmen ein sehr aufgefeiltes und bis heute beispielhaftes Tarifsystem entwickeln konnte, wodurch auch das Image der Branche verbessert wurde. Perspektivisch sieht Prof. Schröder die dringende Notwendigkeit, Tarifpartnerschaften an neue Systeme und Strukturen in den Arbeitsprozessen anzupassen. Internationale Vernetzung ist dabei nur ein Aspekt.
Hier betont er die Herausforderung, dass auf lange Sicht kein Europäisches Recht entstehen wird, Gewerkschaften also informell über Grenzen hinweg kooperieren müssen. Gewerkschaften stehen weiter vor der Herausforderung, verschiedenste Formen von Arbeit zu vertreten (Stichwort crowd-working). Zudem haben Gewerkschaften zunehmend mit einer Generation von Arbeitnehmern zu tun, für die Interessenvertretung von Arbeitnehmern keine unmittelbare biographische Bedeutung mehr haben. Diese will sich nicht vertreten lassen sondern selbst über die Arbeitsbedingungen verhandeln.
In der anschließenden Diskussion mit dem Publikum werden folgende Beobachtungen, Fragen und Aspekte thematisiert:
- Der Begriff „Geiselhaft“ wird als Anlass gesehen, die durchaus positiven gesellschaftlichen Entwicklungen, die z.B. der Kita-Streik stellenweise hervorgebracht hat. Hier wird die durchaus gelungene Ausübung von solidarischer Praxis (gegenseitige Unterstützung bei der „Notfallbetreuung“, gemeinsames Auftreten der Eltern und Erzieher gegenüber dem Tarifgegner etc.) betont und als gesellschaftlicher Gewinn herausgestellt.
- Die aktuelle Entwicklung rund um die AfD wird auch als Gefahr für Gewerkschaften gesehen: das Tarifeinheitsgesetz würde es ermöglichen, dass solche Gruppen auch als „Gewerkschaft“ auftreten und dann über Tarifverträge verhandeln können.
- Der 3. Weg der Kirchen wird als problematisch für gewerkschaftliche Bemühungen betrachtet und kritisiert. Herr Striegler als Vertreter der EKHN vertritt dagegen die Position, dass die Streikfreiheit in diesem Modell an manchen Stellen vielleicht auch „Vorbild“ sein könnte.
- Es wird darauf hingewiesen und kritisch bewertet, dass es weiter Entwicklungen gibt, die zur Sorge Anlass geben: Sog. „Union-Busting“ schwappt als Trend aus den USA nach Europa. So finanzieren große Unternehmen Lehrstühle für Arbeitsrecht (z.B. in München) und nehmen so unterschwellig Einfluss auf rechtliche und schließlich auch politische Prozesse.
- In Anlehnung daran wird abschließend diskutiert, wer eigentlich zu dem Thema noch einzuladen wäre: Investoren, die massiven Einfluss im Hintergrund üben sowie Vertreter der Medien, die die öffentliche Meinung massiv mit beeinflussen können.