Der 11. September als Schlüsselereignis des 21. Jahrhunderts
Folgen und Nachwirkungen aus heutiger Sicht
Die Hybrid-Veranstaltung mit Publikum vor Ort und Zuschauer/innen zuhause, die die Diskussion über den Livestream verfolgten, ging der Frage nach, wie die Terroranschläge auf das World Trade Center in New York und das Pentagon bei Washington vom 21. September 2001 unsere Welt verändert und welche Spuren sie im kollektiven Gedächtnis hinterlassen haben. Zu Gast waren der renommierte Politikwissenschaftler und USA-Kenner Claus Leggewie (Ludwig-Börne-Professur, Universität Gießen) und die Historikerin Carola Dietze (Professur für Neuere Geschichte, Universität Jena), die sich in ihrer Forschung mit der Geschichte des Terrorismus in Europa, Russland und den USA befasst. Ausgehend von der eigenen Zeitgenossenschaft und einer Betrachtung des eigenen Erlebens der Ereignisse von vor 20 Jahren untersuchte die Jenaer Historikerin die Deutungen der Ereignisse damals durch die Behörden, die Politik und die Medien, um daran die Frage zu knüpfen, welche Perspektiven und Bewertungen im Laufe der zwanzig Jahre, die seit den Terroranschlägen von 9/11 vergangen sind, hinzugekommen sind. In Anknüpfung an Reinhard Kosellecks These, wonach sich in der Neuzeit das Neue einer Zeit durch das Auseinandertreten von Erwartungs- und Erfahrungshorizont ermessen lasse, stellte sie vor allem den Effekt der Überraschung und die daraus resultierende tiefe Verunsicherung und das Empfinden der Bedrohung und Verletzlichkeit heraus, welche durch die verheerenden Terroranschläge ausgelöst wurden. Sie zeigte, wie mit den unmittelbar auf die Anschläge folgenden Deutungen den Terroranschlägen eine außergewöhnliche Macht zugeschrieben wurde, welche der Legitimation ebenso außergewöhnlicher Reaktionen diente. Diese Reaktionen trugen, so lautete ihre These, letztlich entscheidend zu einer Schwächung des Westens und zu einer Verschiebung der Kräfteverhältnisse bei, was aus heutiger Perspektive den Anbruch einer neuen Zeit markiere. Claus Leggewie stellte dar, wie mit dem Einsturz der beiden Zwillingstürme des World Trade Centers In New York am 11. September 2001 sein Weltbild erschüttert wurde. Den Hauptakzent seiner Ausführungen setzte Leggewie auf die Opfer und die Täter der verheerenden Anschläge. 2977 Tote hatte es durch 9/11 gegeben, die 19 islamistischen Terroristen, die die Anschläge ausgeübt hatten, nicht mitgerechnet. Über 6000 Menschen wurden bei den anschließenden Aufräumarbeiten verletzt, viele der überlebenden Opfer und Helfer leiden bis heute an den physischen und psychischen Langzeitfolgen, sind gar an den gesundheitlichen Folgen, die durch das Einatmen giftiger Gase ausgelöst wurde, mittlerweile verstorben. In der Diskussion wurde insbesondere das Thema der Verletzlichkeit der westlichen Gesellschaften vertieft, es wurden die Auswirkungen von 9/11 auf die in Deutschland und den USA lebenden Muslime thematisiert, die infolge der Anschläge unter Generalverdacht gerieten. Claus Leggewie betonte, dass er sich von muslimischen Vertretern damals eine lautstarke Verurteilung der islamistischen Terroranschläge gewünscht hätte. Im Raum stand des Weiteren die Frage, ob die USA anders als militärisch auf die Anschläge des 11. September 2001 hätten reagieren können. Breiten Raum nahm in der Diskussion das aktuelle Geschehen in Afghanistan ein, die Übernahme der Macht durch die Taliban im August 2021 nach dem zuvor erfolgten Abzug des US-Militärs und der NATO-Truppen. Die gegenwärtigen Folgen in Afghanistan führten den Mitwirkenden und Teilnehmenden die Vergeblichkeit des durch 9/11 legitimierten militärischen Einsatzes der USA und ihrer NATO-Bündnispartner in aller Drastik vor Augen und warfen Fragen nach den Fehlern auf, die bei dem zwei Jahrzehnte währenden militärischen Einsatz in Afghanistan gemacht wurden.