Trialogisches Tehillim-Psalmen-Gespräch
- Psalm 113
„... der das Niedrigste beachtet“
Das 15. Tehillim-Psalmen-Projekt, gewidmet dem 113. Psalm, verschoben aus dem vergangenen Jahr in das Jahr 2021, fand leider noch immer im Schatten der Pandemie statt. Entsprechend erschwert war und ist die Arbeit von Musiker*innen und Sänger*innen, denn das Miteinander-Singen und -Musizieren und überhaupt die Begegnungen miteinander können nur unter erschwerten Bedingungen und in eingeschränktem Rahmen stattfinden. Umso mehr verdient das Engagement des Interreligiösen Chors Frankfurt unter der Leitung von Frau Kirchenmusikerin Bettina Strübel und Herrn Chasan Daniel Kempin in diesem Projekt höchste Anerkennung.
„… der das Niedrigste beachtet“ lautet in einer ganz bestimmten, von den Veranstalter*innen favorisierten Übersetzung die Überschrift zu dem diesjährigen Projekt, entnommen dem Vers 7 des Psalms. Im klassischen Luthertext findet sich die männliche Fassung „… der den Geringen aufrichtet aus dem Staube und erhöht den Armen aus dem Schmutz“. In der „Bibel in gerechter Sprache“ wird der Vers als Plural übersetzt: „Die aus dem Staub aufrichtet die Schwachen, aus dem Dreck aufhebt die Armen“. Wie immer man die Übersetzung wählen mag: Wichtig ist hierbei eine inklusive Sprachform, denn es geht in dem Psalm ja offenbar nicht bloß um einen männlichen „Geringen/Niedrigen/Schwachen“, sondern um alle hilfsbedürftigen Menschen bzw. Geschöpfe Gottes.
Der Moderator des Reflexionsgesprächs, Prof. Dr. Siegfried Krückeberg, führte sehr kompetent durch den Abend. Als Rundfunkpfarrer und Beauftragter der Evangelischen Kirche von Kurhessen Waldeck für den privaten Hörfunk, der auch die Produktion kirchlicher Sendungen bei Hit Radio FFH, harmony.fm, Klassik Radio und Radio BOB leitet, ist er sehr medienaffin und moderationserfahren. Zudem hatte er sich bereits im Studium mit dem christlich-jüdischen Dialog befasst. Seit seinem Vikariat ist er im Bereich der Begegnungen zwischen Christ*innen und Muslim*innen engagiert. Promoviert und habilitiert wurde er an der Universität Erlangen. Dort lehrt er auch seit dem Jahr 2000 am Fachbereich Theologie in der Abteilung Christliche Publizistik. Damit war er fachlich in mehrfacher Hinsicht sehr gut auf den anstehenden Trialog der Religionen vorbereitet.
Ein Schwerpunkt des Gespräches betraf das Thema „Lob“: Braucht Gott das Lob der Menschen, oder ist er gleichsam selbstgenügsam und bedarf dieses Lobes nicht?
Die Repräsentantin des Judentums, Frau Dr. Annette M. Boeckler (Johannes Gutenberg-Universität Mainz) meinte, Lob sei Ausdruck von menschlicher Gemeinschaft. Die Antwort sei: Ja und Nein. Denn: Ja, Gott brauche das Lob der Menschen, denn „den König machen die anderen“. Aber auch: Nein, Gott braucht unser Lob nicht, das beste Lob für ihn wäre vielmehr unser Schweigen. Das Lob bringt zum Ausdruck, was Gott tut und wie er handelt. Er befreit, wie die Exodus-Geschichte exemplarisch zeigt! Man kann nur sein Handeln anhand von Beispielen beschreiben.
Der emeritierte Alttestamentler Prof. Dr. Rainer Kessler (Philipps-Universität Marburg) wies als der Vertreter des Christentums darauf hin, die Lobgesänge Israels bildeten gemäß Psalm 22 den „Thron Gottes“. Ohne diesen Thron würde Gott gleichsam „auf dem Boden sitzen“. Ein reiner „Gott an sich“ sei im Christentum sicherlich nicht denkbar. Daher brauche er das Lob der Gläubigen.
Prof. Dr. Mira Sievers (Humboldt-Universität zu Berlin), die für eine historisch-kritische, philologisch exakte, progressive islamische Theologie steht, hielt dieser Sicht entgegen: Lob sei zwar in gewisser Weise die Bedeutung von „Islam“ selbst. Sie ging dabei auf Bezüge zur Sure 87 ein. Insgesamt aber müsse man aus der Sicht des Islam sagen: Gott braucht kein Lob! Die Gläubigen bräuchten vielmehr das Lob Gottes, um gut in Gemeinschaft leben zu können, und sie seien auch dazu verpflichtet, dieses Lob auszusprechen.
Jedoch wird mit dem Vers 7 nur ein Teil des Psalms 113 in den Fokus der Betrachtung gestellt. Es handelt sich ja um einen Psalm, der Schöpferlob und Sozialprophetie miteinander verbindet. Der Psalm sei also als ein bloß weisheitlicher Text, vielmehr ein sozial engagierter, ja, sozialkritischer Text, der in den Prophetenbüchern, aber auch in zahlreichen Texten des „Neuen Testaments“, etwa in Reden Jesu oder in anderen Evangelientexten und auch in einigen Briefen Parallelen habe. Das Streben nach und Leben für Gerechtigkeit sei für die Bibel insgesamt von zentraler Bedeutung. Dasselbe gelte aber auch für den Koran und damit für die maßgebliche Urkunde, die der Religion des Islams zugrunde liege. Während sich somit im Blick auf den Lobgedanken und somit auf das Gottesbild sowohl Konvergenzen als auch Differenzen zwischen den drei Religionen zeigten, gebe es hinsichtlich der Verpflichtung der Glaubenden, für soziale Gerechtigkeit einzutreten, eine relativ weitgehende Übereinstimmung.
Unter den strengen 2G+-Bedingungen des Abends nahmen etwa 25 Gäste am trialogischen Reflexionsgespräch teil, dazu kamen eine ganze Reihe von Personen, die per Zoom das Geschehen verfolgten. Bis zum 20. Dezember wurde das mitgeschnittene Youtube-Video überdies von ca. 80 Personen angeschaut. Da es dauerhaft vorgehalten wird, dürfte sich dies Zahl weiterhin steigern.