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UNVERFÜGBARKEIT

ZUM STELLENWERT EINES BEGRIFFS IM POLITISCHEN DENKEN UND GLOBALEN HANDELN

Ziele: Das Ziel der Veranstaltung bestand darin, die Teilnehmenden mit dem Begriff des Unverfügbaren und seinem Stellenwert in der politischen Theorie, der Sozialtheorie und der Theologie vertraut zu machen. Die Teilnehmenden wurden dazu angeregt, über die Wirkungsmacht des Begriffs in Bezug auf gesellschaftliche Verhältnisse und globales Handeln, insbesondere im Hinblick auf Geschlechterverhältnisse, soziale Ungleichheit und Menschenrechte zu reflektieren.

Mitwirkende: Mitgewirkt haben an der Veranstaltung die Theologin Dr. Sarah Rosenhauer, wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Humboldt Universität zu Berlin; Dr. Thomas Seibert, Philosoph und Ethnologe, langjähriger Referent bei der Menschenrechtsorganisation medico international; Dr. Tove Soiland, Dozentin für feministische und politische Theorie, Zürich. Moderiert wurde die Veranstaltung von Dr. Margrit Frölich, Studienleiterin, Evangelische Akademie Frankfurt.

Inhalt und Ablauf: Unverfügbar – so lautete im zweiten Halbjahr 2023 das Halbjahresthema der Evangelischen Akademie Frankfurt. Anknüpfend daran befasste sich diese Veranstaltung mit dem Begriff des Unverfügbaren in der politischen Philosophie und der Entwicklungszusammenarbeit, der feministischen Theorie sowie der Theologie.

„Das kulturelle Antriebsmoment jener Lebensform, die wir Moderne nennen, ist die Vorstellung, der Wunsch und das Begehren, sich die Welt verfügbar zu machen. Lebendigkeit, Berührung und wirkliche Erfahrung aber entstehen aus der Begegnung mit dem Unverfügbaren.“ So formuliert es der Soziologe Hartmut Rosa, und er warnt: Eine Welt, die sich der Mensch vollends verfügbar macht, verstummt.

Diese Betrachtung bildete den Ausgangspunkt der Veranstaltung. Die drei Referent/innen analysierten den Stellenwert des Unverfügbaren in normativ kritischer Perspektive und in Bezug auf menschliches Handeln sowie auf seine gesellschaftlichen und politischen Implikationen. Das Gelingen ist ein entscheidendes Bedürfnis des handelnden Subjekts. Was aber, wenn sich das Gelingen menschlicher Vollzüge unserer Selbstwirksamkeit entzieht. Diese Frage stellte die Theologin Dr. Sarah Rosenhauer, die sich mit dem Begriff des Unverfügbaren in subjekttheoretischer und gnadentheologischer Perspektive befasste. Sie sprach davon, dass das Unverfügbare eine Radikalisierung moderner Freiheit verlange, dass Weltbegegnung (in Anlehnung an Axel Honneths Sozialtheorie) zugleich eine Anerkennung des Anderen darstelle, sowohl in individueller, struktureller und gesellschaftlicher Hinsicht. Rosenhauer reflektierte darüber, wie der Mensch angesichts des Unverfügbaren, das heißt angesichts dessen, was sich seinem Willen entzieht, dennoch Sinnhaftigkeit erfahren kann. Und wie es um die Verantwortlichkeit steht, wenn Gelingen sich dem eigenen Willen und Können entzieht. Im Beitrag von Dr. Tove Soiland, Historikerin und an psychoanalytischer Theorie geschulte feministische Philosophin, stand zunächst das von Lacan hergeleitete Konzept der Negativität im Zentrum. Daran anknüpfend hob Soiland das Thema das Verzichts hervor, das sie dem gesellschaftlichen Optimierungsdruck gegenüberstellte. Sie bezog sich in ihren Ausführungen auch auf praxisbezogene Beobachtungen aus ihrer langjährigen Gewerkschaftsarbeit und den daraus resultierenden Bildungsangeboten für Frauen zur feministischen Ökonomie und politischen Theorie. Dr. Thomas Seibert, Philosoph und Ethnologe, sowie langjähriger Referent bei der Menschenrechtsorganisation medico international, wo er bis Oktober 2023 für Menschenrechte und Öffentlichkeitsarbeit in Südasien, mit Länderschwerpunkten in Pakistan und Sri Lanka zuständig war, stellte ökologische Themen in den Mittelpunkt seiner ebenfalls philosophisch unterlegten Betrachtungen. Die Beschreibung der Klimakatastrophe und ihrer Auswirkungen auf die Lebenssituation in Pakistan, Senegal und Haiti nahm in seinen Betrachtungen breiten Raum ein. Er berichtete von seinen Erfahrungen und Gesprächen mit Menschen in Pakistan, nachdem das Land im Sommer 2022 von einer Flutkatastrophe heimgesucht worden war. Das Rettende, worauf Europäer/innen nach wie vor hoffen dürfen (mit Blick auf Hölderlins Patmos-Gedicht, „Wo aber Gefahr ist, wächst das Rettende auch“), gibt es laut Dr. Seibert für 30 Millionen Menschen in Pakistan nicht mehr. Er knüpfte an seine Überlegungen die Forderung der kritischen Überprüfung des ökonomischen und politischen Systems und seiner ungerechten Schieflage für arme Länder des globalen Südens.

Alle drei Referent/innen stellten ihre Betrachtungen zunächst in drei Impulsvorträgen vor. Die Thesen wurden anschließend auf dem Podium und sodann mit den Teilnehmenden diskutiert. Die Diskussion mit den Teilnehmenden zeichnete sich durch eine außergewöhnliche Intensität und kluge Fragen sowie differenzierte Kommentare aus, die die unterschiedlichen Bezüge der Teilnehmenden zum Thema der Veranstaltung erkennen ließen und inspirierend auf die Mitwirkenden wirkten. Inzwischen (Stichtag: 11.12.2023) haben sich bereits 648 Personen die auf dem youTube-Kanal der Evangelischen Akademie veröffentlichte Videoaufzeichnung der Veranstaltung angesehen. Der Offene Kanal der Hessischen Landesanstalt für privaten Rundfunk strahlte am 17. November die Aufzeichnung aus, die seither auch über die Mediathek Hessen einer großen Öffentlichkeit (bisher 530 Abrufe) nachhaltig zugänglich gemacht wird.