IchDuWir
Über die Entstehung von Identität und Gesellschaft
Zwei Tage lang ging es in der Akademie um das Thema Identität: Wie fix oder veränderbar ist das eigene Selbst? Wie entsteht es und wovon hängt es ab? Und was haben Identität und Gesellschaft miteinander zu tun?
Nach dem Kennenlernen und ersten Überlegungen zu den eigenen Gruppenzugehörigkeiten, führten Patrick Breitenbach und Prof. Dr. Nils Köbel vom Podcast Soziopod in das Thema ein. Es ging um die „Quellen des Selbst“ und die Beziehung zwischen dem „ich“ und dem „mich“. Es ging darum, dass wir zwar in eine Familie und Gesellschaft hineingeboren werden, aber im Laufe des Aufwachsens auch mit anderen Arten von Familie-sein und Gesellschaft-sein in Kontakt kommen. Dass wir die Fähigkeit haben, über uns selbst und unsere Rolle in der Welt nachzudenken – und dass unsere Identität sich somit entwickeln kann. Es ging um das Konfliktpotential, das es birgt, wenn unterschiedliche Wertevorstellungen aufeinanderprallen und um Dialog und Geschichten als wichtige Zutaten für ein friedliches Zusammenleben. Der Impuls von Carolin Mauritz und Dr. Felix Trautmann vom Institut für Sozialforschung knüpfte an das Konfliktthema gut an. Sie reflektierten „kollektive Identitäten“ als eine Art Fiktion mit reellen Auswirkungen.
Im Fishbowl-Format konnten die Jugendliche und jungen Erwachsenen eigene Fragen stellen. Diese berührten Themen wie der Einfluss von sozialen Netzwerken, Umgang mit Privilegien und ob Quoten oder Lotsen (Beispiel Bürgerrat) die beste Lösung darstellen, um die demokratische Repräsentanz verschiedener identitätsbezogener Lebensrealitäten zu erhöhen. In verschiedenen Workshops konnten sie die Teilnehmenden je nach Interesse einwählen und eigene Fragestellungen vertiefen. Wie bunt (oder auch nicht) ist es in der virtuellen Welt der Computerspiele – findet man sich als Heranwachsende wieder? Was hat „Chillen“ und damit verbundene Fragen nach Freundschaft, Orten und Räumen mit Identität zu tun? Bei „Identität divers“ ging es um Gruppenzugehörigkeiten, Zuschreibungen und die eigenen Stärken und im Poesie-Workshop fanden schwierige Fragen lyrischen Ausdruck.
Am zweiten Tag waren alle Interessierten zum öffentlichen Symposium eingeladen. Zwischen den Impulsen der Autorin Lena Gorelik, des Philosophen Philipp Hübl und des Kunsthistorikers/Fitnesstrainers/Musikers Jörg Scheller präsentierten die Jugendlichen und jungen Erwachsenen Ergebnisse aus ihren Workshops. Als Abschluss war ein Podiumsgespräch zwischen Scheller, Hübl, Miriam Zeleke, Beauftragte für Kinder- und Jugendrechte des Landes Hessen und Dr. Yağmur Mengilli aus dem offenen Kinder- und Jugendarbeit vorgesehen. Dank Aisha Camaras aktive Moderation entwickelte sich daraus aber eher ein spannender intergenerationeller Dialog mit den jüngeren Publikumsteilnehmenden. Es ging um Bildung, Schule, demokratische Teilhabe und Repräsentanz – und natürlich um Identität!
Die Impulse wurden aufgenommen und sind hier nachzuschauen:





TEAM.BILDEN
Teamen in der politischen Jugendbildung
Bei der Veranstaltung handelte es sich um das zweite Modul einer Ausbildungsreihe. Die Teilnehmer/innen qualifizieren sich zu verschiedenen Themen (u.a. Menschenrechte, Europabildung, Pluralität, Diskriminierung, Rassismuskritik), um zukünftig mit und für uns als politisch Jugendbildner/innen (zunächst unter Anleitung, später selbstständig) tätig zu werden.
Neben der Wissensvermittlung geht es in der Ausbildungsreihe v.a. um die Entwicklung einer persönlichen Haltung und um die Reflexion der neuen Rolle. In dieser Woche ging es schwerpunktmäßig um diese Themen: Entwicklung eines Rollenverständnisses, diskriminierungskritische Bildungsarbeit, Identität, Intersektionalität, Gruppendynamik, Umgang mit Emotionen, Lernmodelle und Europabildung.
Die Gruppe besteht aus unterschiedlichsten Individuen: Sie sind Abiturient/innen, Studierende unterschiedlicher gesellschaftswissenschaftlicher Studiengänge (BA und MA), Promovent/innen und berufstätige, freischaffende Tänzer.
Für Teambuildingsprozesse und gruppendynamische Lernprozesse war es sehr gut, 5 Tage am Stück gemeinsam im Kloster Höchst zu sein. Fernab vom Alltag und Ablenkungen hat dieses Format für intensive und reflektierte Lernergebnisse gesorgt. Als positives Feedback nannten die Teilnehmenden v.a. die gute Gruppendynamik und das gewachsene Vertrauen untereinander.
In intensiven Gruppenprozessen, durch Konflikte und gemeinsame Erfolgserlebnisse hindurch, ist es gelungen, in dieser Woche den Teamspirit für die zukünftige Zusammenarbeit zu entfachen. Es folgt ein weiteres Grundlagenmodul, bevor die Teilnehmende themenspezifisch Aufbaumodule wählen und in Form von Hospitationen den Sprung in die Praxis wagen.




Umkämpft! Demokratie
Auftakt der Jungen Akademie Frankfurt
Die Auftaktveranstaltung ist der Start in das Jahr „Junge Akademie“. Hier treffen die Menschen eines Jahrgangs erstmalig aufeinander. Wir verfolgen als Prozessbegleitungen das Ziel, aus einer Ansammlung fremder Menschen eine Gruppe entstehen zu lassen, zu der sich alle identifizieren können, die mehr ist als die Summe ihrer Teile. Eine Gruppe, die sich als gemeinschaftlicher Jahrgang begreift und in der am Endes des Auftaktes jede*r motiviert ist, sich aktiv für das gemeinsame Jahr und für die gemeinsame Überzeugung einer starken Demokratie einzubringen. Dieses Ziel ist auch bei diesem siebten Auftakt der Jungen Akademie in Arnoldshain erneut geglückt.
Von Beginn diskutierten die 25 Teilnehmenden miteinander: Was verstehen wir unter „Demokratie“? Wer sind die Menschen, die aktuell unsere Demokratie umkämpfen? Wo und wie findet Demokratie statt? Brauchen wir neue Begriffe und eine andere Sprachlichkeit um Politische Teilhabe für ausgeschlossene Gruppen und Menschen anziehender zu gestalten? Wir sind mit einer leeren Themenwand in das Wochenende eingestiegen, an der bereits nach 24 Stunden um die 100 Post Its mit Gedanken und Ideen hingen, die den TN im miteinander austauschen begegnet sind. Dazu trugen auch die Impulse von Frau Liesenberg (Promovendin an der TU Darmstadt im Feld der Politischen Theorie) und Herrn Jäger (Referent im Büro des Frankfurter OB) bei.
Die Teilnehmenden waren aufgefordert einen eigenen Weg zu entwickeln, die gesammelten Begriffe an der Themenwand zu clustern und zu priorisieren. In diesem Prozess musste sich die Gruppe selbst moderieren und ihren Weg entwickeln, zu Ergebnissen zu finden, die auf einem demokratisch organisierten Prozess aufbauen und von der gesamten Gruppe getragen werden können. Auf der Ergebnisebene hat die Gruppe erfolgreich gearbeitet und erste Projektskizzen und Projektgruppen sind entstanden: „Servietten-Tabu“, „Adventskalender“, „Postkarte“, „Ausstellungsraum“ und „Wut-Box“ sind die Projektüberschriften, die im weiteren Prozess des Jahres entwickelt werden. Die Reflexion des Arbeitsprozesses hat gezeigt, wie anspruchsvoll dialogorientierte und demokratisch gerahmte Prozessarbeit für die Teilnehmenden sein kann. Die Auswertung der Prozessdynamik war für die Akzeptanz und Würdigung der Prozessergebnisse wesentlich.
Neben dem vielen inhaltlichen Arbeiten gab es auch bewusste Zeit für das eigene Erleben in der Gruppe. Mit Hilfe von dynamischen Übungen aus der Praxis der Teamentwicklung reflektierten die Teilnehmenden ihre Bedürfnisse und Strategien. Die Übungen waren für die Gruppe nicht nur Spaß und Spiel. Sie stärkten das Miteinander und die Sensibilität für die Potentiale und Grenzen der anderen TN. Das entstehende „Wir-Gefühl“, ist essentiell für die kommenden Monate der Zusammenarbeit in der Jungen Akademie.
Der Auftakt war ein gelungener Start in das neue siebte Junge Akademie-Jahr. Wir dürfen gespannt sein auf die Beiträge dieser inspirierenden jungen Menschen.






Der Protestantismus und die Paulskirche
Freiheit, Demokratie, Nation
Das Ziel der Veranstaltung bestand darin, vor dem Hintergrund des im Mai 2023 bevorstehenden 175. Jubiläums der ersten deutschen Nationalversammlung in der Frankfurter Paulskirche und anhand der evangelischen Paulskirche als dem Versammlungsort der Nationalversammlung herauszuarbeiten, wie sich das Verhältnis von Kirche und Staat, Freiheit, Nation und Demokratie Laufe der Zeit entwickelt hat.
Mitgewirkt haben an der Veranstaltung die Pfarrerin für Stadtkirchenarbeit an der Alten Nikolaikirche (St. Paulsgemeinde), Andrea Braunberger-Myers, der evangelische Kirchenhistoriker an der Goethe Universität, Professor Dr. Stefan Michels, sowie der langjährige Justiziar des Evangelischen Regionalverbandes, Jürgen Telschow, Mitglied des evangelisch-lutherischen Predigerministeriums, Frankfurt am Main. Moderiert wurde die Veranstaltung von Studienleiterin Dr. Margrit Frölich.
Wie ist es zu erklären, dass die lutherische Kirche in Frankfurt sich 1848 schnell „und mit Freude einverstanden“ erklärte, den Abgeordneten der Nationalversammlung die Paulskirche als Versammlungsort zur Verfügung zu stellen? Warum sträubte die Kirchengemeinde sich jedoch in den 1920er Jahren dagegen, dass die Reichsregierung in Berlin jährlich den Tag der Verfassung in der Paulskirche begehen und eine Bronzeskulptur im Gedenken an den 1925 verstorbenen Reichspräsidenten Friedrich Ebert an der Paulskirche aufstellen wollte? Und warum steht in dem Vertrag, den die evangelische Kirche 1953 mit der Stadt Frankfurt schloss, dass das Kreuz auf dem Gebäude erhalten werden soll? Diese und weitere Fragen standen im Mittelpunkt der Veranstaltung.
Folgende Themen wurden auf Podiumsdiskussion adressiert: die Einordung der Nationalversammlung von 1848 in den Kontext der politischen Freiheitsbewegung des Vormärz. Die Rezeption des Luther’schen Freiheitsbegriffs in der Zeit des Vormärz. Inwiefern markiert Luthers Theologie eine der Politisierungsstufen des Protestantismus? Der liberale Protestantismus und seine konservativen Widersacher. Das Verhältnis des Protestantismus zur staatlichen Obrigkeit in der Kaiserzeit - Ernst Troeltsch (Kulturprotestantismus), Adolf Stöcker (Antisemitismus), Rheinische Missionsgesellschaft (Kolonialismus) – und in der Weimarer Republik. Reformorientierte als auch traditionalistische Strömungen in der evangelischen Kirche Frankfurts. Verhältnis des Protestantismus zu dem freiheits- und demokratiegeschichtlichen Erbe der Paulskirche, die einschlägigen Paulskirchenjubiläen 1898 und 1923. Das Verhältnis des evangelischen Paulskirchengemeinde zum Staat in der Weimarer Republik: Streit um die Errichtung einer Skulptur zu Ehren des ersten demokratisch gewählten Reichspräsidenten Friedrich Ebert (1926). Die Paulskirche im Nationalsozialismus (die Gemeindepfarrer Karl Veidt, Georg Struckmeier), Zerstörung und demokratischer Neuanfang 1948 – die Paulskirche wird zur nationalen Gedenkstätte, die Gemeinde verlegt ihre Gottesdienste in die Alte Nikolaikirche, Beibehaltung des Namens Paulsgemeinde; die Rolle des ersten Kirchenpräsidenten der EKHN nach 1945, Martin Niemöller. Dotationsvertrag von 1953: „Dem evangelischen Gemeindeverband wird von der Stadt Frankfurt die Zusicherung gegeben, dass nicht nur die historische, sondern auch die religiöse Tradition dieser Kirche gewahrt wird. Das Kreuz auf der Pauskirche darf nicht entfernt werden.“ Das Anliegen des Protestantismus und der Wunsch der evangelischen Kirche in Frankfurt nach Beteiligung in Bezug auf die künftige Gestaltung der Paulskirche und das geplante Demokratiezentrum.
Die Veranstaltung fand in Präsenz in Großen Saal der Evangelischen Akademie statt. Sie wurde auch per Livestream übertragen und ist über den YouTube-Kanal der Evangelischen Akademie abrufbar. Zusätzlich wurde die Aufzeichnung an drei Terminen im April im Offenen Kanal Hessen gesendet und ist ebenfalls über die Mediathek Hessen abrufbar. Ein Bericht von der Veranstaltung erschien in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung.