IchDuWir

Über die Entstehung von Identität und Gesellschaft

Zwei Tage lang ging es in der Akademie um das Thema Identität: Wie fix oder veränderbar ist das eigene Selbst? Wie entsteht es und wovon hängt es ab? Und was haben Identität und Gesellschaft miteinander zu tun?

Nach dem Kennenlernen und ersten Überlegungen zu den eigenen Gruppenzugehörigkeiten, führten Patrick Breitenbach und Prof. Dr. Nils Köbel vom Podcast Soziopod in das Thema ein. Es ging um die „Quellen des Selbst“ und die Beziehung zwischen dem „ich“ und dem „mich“. Es ging darum, dass wir zwar in eine Familie und Gesellschaft hineingeboren werden, aber im Laufe des Aufwachsens auch mit anderen Arten von Familie-sein und Gesellschaft-sein in Kontakt kommen. Dass wir die Fähigkeit haben, über uns selbst und unsere Rolle in der Welt nachzudenken – und dass unsere Identität sich somit entwickeln kann. Es ging um das Konfliktpotential, das es birgt, wenn unterschiedliche Wertevorstellungen aufeinanderprallen und um Dialog und Geschichten als wichtige Zutaten für ein friedliches Zusammenleben. Der Impuls von Carolin Mauritz und Dr. Felix Trautmann vom Institut für Sozialforschung knüpfte an das Konfliktthema gut an. Sie reflektierten „kollektive Identitäten“ als eine Art Fiktion mit reellen Auswirkungen.

Im Fishbowl-Format konnten die Jugendliche und jungen Erwachsenen eigene Fragen stellen. Diese berührten Themen wie der Einfluss von sozialen Netzwerken, Umgang mit Privilegien und ob Quoten oder Lotsen (Beispiel Bürgerrat) die beste Lösung darstellen, um die demokratische Repräsentanz verschiedener identitätsbezogener Lebensrealitäten zu erhöhen. In verschiedenen Workshops konnten sie die Teilnehmenden je nach Interesse einwählen und eigene Fragestellungen vertiefen. Wie bunt (oder auch nicht) ist es in der virtuellen Welt der Computerspiele – findet man sich als Heranwachsende wieder? Was hat „Chillen“ und damit verbundene Fragen nach Freundschaft, Orten und Räumen mit Identität zu tun? Bei „Identität divers“ ging es um Gruppenzugehörigkeiten, Zuschreibungen und die eigenen Stärken und im Poesie-Workshop fanden schwierige Fragen lyrischen Ausdruck.  

Am zweiten Tag waren alle Interessierten zum öffentlichen Symposium eingeladen. Zwischen den Impulsen der Autorin Lena Gorelik, des Philosophen Philipp Hübl und des Kunsthistorikers/Fitnesstrainers/Musikers Jörg Scheller präsentierten die Jugendlichen und jungen Erwachsenen Ergebnisse aus ihren Workshops. Als Abschluss war ein Podiumsgespräch zwischen Scheller, Hübl, Miriam Zeleke, Beauftragte für Kinder- und Jugendrechte des Landes Hessen und Dr. Yağmur Mengilli aus dem offenen Kinder- und Jugendarbeit vorgesehen. Dank Aisha Camaras aktive Moderation entwickelte sich daraus aber eher ein spannender intergenerationeller Dialog mit den jüngeren Publikumsteilnehmenden. Es ging um Bildung, Schule, demokratische Teilhabe und Repräsentanz – und natürlich um Identität!

Die Impulse wurden aufgenommen und sind hier nachzuschauen:

Soziopod

Lena Gorelik

Philipp Hübl

Jörg Scheller

TEAM.BILDEN

Teamen in der politischen Jugendbildung

Bei der Veranstaltung handelte es sich um das zweite Modul einer Ausbildungsreihe. Die Teilnehmer/innen qualifizieren sich zu verschiedenen Themen (u.a. Menschenrechte, Europabildung, Pluralität, Diskriminierung, Rassismuskritik), um zukünftig mit und für uns als politisch Jugendbildner/innen (zunächst unter Anleitung, später selbstständig) tätig zu werden.

Neben der Wissensvermittlung geht es in der Ausbildungsreihe v.a. um die Entwicklung einer persönlichen Haltung und um die Reflexion der neuen Rolle. In dieser Woche ging es schwerpunktmäßig um diese Themen: Entwicklung eines Rollenverständnisses, diskriminierungskritische Bildungsarbeit, Identität, Intersektionalität, Gruppendynamik, Umgang mit Emotionen, Lernmodelle und Europabildung.

Die Gruppe besteht aus unterschiedlichsten Individuen: Sie sind Abiturient/innen, Studierende unterschiedlicher gesellschaftswissenschaftlicher Studiengänge (BA und MA), Promovent/innen und berufstätige, freischaffende Tänzer.

Für Teambuildingsprozesse und gruppendynamische Lernprozesse war es sehr gut, 5 Tage am Stück gemeinsam im Kloster Höchst zu sein. Fernab vom Alltag und Ablenkungen hat dieses Format für intensive und reflektierte Lernergebnisse gesorgt. Als positives Feedback nannten die Teilnehmenden v.a. die gute Gruppendynamik und das gewachsene Vertrauen untereinander.

In intensiven Gruppenprozessen, durch Konflikte und gemeinsame Erfolgserlebnisse hindurch, ist es gelungen, in dieser Woche den Teamspirit für die zukünftige Zusammenarbeit zu entfachen. Es folgt ein weiteres Grundlagenmodul, bevor die Teilnehmende themenspezifisch Aufbaumodule wählen und in Form von Hospitationen den Sprung in die Praxis wagen. 

Umkämpft! Demokratie

Auftakt der Jungen Akademie Frankfurt

Die Auftaktveranstaltung ist der Start in das Jahr „Junge Akademie“. Hier treffen die Menschen eines Jahrgangs erstmalig aufeinander. Wir verfolgen als Prozessbegleitungen das Ziel, aus einer Ansammlung fremder Menschen eine Gruppe entstehen zu lassen, zu der sich alle identifizieren können, die mehr ist als die Summe ihrer Teile. Eine Gruppe, die sich als gemeinschaftlicher Jahrgang begreift und in der am Endes des Auftaktes jede*r motiviert ist, sich aktiv für das gemeinsame Jahr und für die gemeinsame Überzeugung einer starken Demokratie einzubringen. Dieses Ziel ist auch bei diesem siebten Auftakt der Jungen Akademie in Arnoldshain erneut geglückt.

Von Beginn diskutierten die 25 Teilnehmenden miteinander: Was verstehen wir unter „Demokratie“? Wer sind die Menschen, die aktuell unsere Demokratie umkämpfen? Wo und wie findet Demokratie statt? Brauchen wir neue Begriffe und eine andere Sprachlichkeit um Politische Teilhabe für ausgeschlossene Gruppen und Menschen anziehender zu gestalten? Wir sind mit einer leeren Themenwand in das Wochenende eingestiegen, an der bereits nach 24 Stunden um die 100 Post Its mit Gedanken und Ideen hingen, die den TN im miteinander austauschen begegnet sind. Dazu trugen auch die Impulse von Frau Liesenberg (Promovendin an der TU Darmstadt im Feld der Politischen Theorie) und Herrn Jäger (Referent im Büro des Frankfurter OB) bei.

Die Teilnehmenden waren aufgefordert einen eigenen Weg zu entwickeln, die gesammelten Begriffe an der Themenwand zu clustern und zu priorisieren. In diesem Prozess musste sich die Gruppe selbst moderieren und ihren Weg entwickeln, zu Ergebnissen zu finden, die auf einem demokratisch organisierten Prozess aufbauen und von der gesamten Gruppe getragen werden können. Auf der Ergebnisebene hat die Gruppe erfolgreich gearbeitet und erste Projektskizzen und Projektgruppen sind entstanden: „Servietten-Tabu“, „Adventskalender“, „Postkarte“, „Ausstellungsraum“ und „Wut-Box“ sind die Projektüberschriften, die im weiteren Prozess des Jahres entwickelt werden. Die Reflexion des Arbeitsprozesses hat gezeigt, wie anspruchsvoll dialogorientierte und demokratisch gerahmte Prozessarbeit für die Teilnehmenden sein kann. Die Auswertung der Prozessdynamik war für die Akzeptanz und Würdigung der Prozessergebnisse wesentlich. 

Neben dem vielen inhaltlichen Arbeiten gab es auch bewusste Zeit für das eigene Erleben in der Gruppe. Mit Hilfe von dynamischen Übungen aus der Praxis der Teamentwicklung reflektierten die Teilnehmenden ihre Bedürfnisse und Strategien. Die Übungen waren für die Gruppe nicht nur Spaß und Spiel. Sie stärkten das Miteinander und die Sensibilität für die Potentiale und Grenzen der anderen TN. Das entstehende „Wir-Gefühl“, ist essentiell für die kommenden Monate der Zusammenarbeit in der Jungen Akademie. 

Der Auftakt war ein gelungener Start in das neue siebte Junge Akademie-Jahr. Wir dürfen gespannt sein auf die Beiträge dieser inspirierenden jungen Menschen.

Der Protestantismus und die Paulskirche

Freiheit, Demokratie, Nation

Das Ziel der Veranstaltung bestand darin, vor dem Hintergrund des im Mai 2023 bevorstehenden 175. Jubiläums der ersten deutschen Nationalversammlung in der Frankfurter Paulskirche und anhand der evangelischen Paulskirche als dem Versammlungsort der Nationalversammlung herauszuarbeiten, wie sich das Verhältnis von Kirche und Staat, Freiheit, Nation und Demokratie Laufe der Zeit entwickelt hat.

Mitgewirkt haben an der Veranstaltung die Pfarrerin für Stadtkirchenarbeit an der Alten Nikolaikirche (St. Paulsgemeinde), Andrea Braunberger-Myers, der evangelische Kirchenhistoriker an der Goethe Universität, Professor Dr. Stefan Michels, sowie der langjährige Justiziar des Evangelischen Regionalverbandes, Jürgen Telschow, Mitglied des evangelisch-lutherischen Predigerministeriums, Frankfurt am Main. Moderiert wurde die Veranstaltung von Studienleiterin Dr. Margrit Frölich.

Wie ist es zu erklären, dass die lutherische Kirche in Frankfurt sich 1848 schnell „und mit Freude einverstanden“ erklärte, den Abgeordneten der Nationalversammlung die Paulskirche als Versammlungsort zur Verfügung zu stellen? Warum sträubte die Kirchengemeinde sich jedoch in den 1920er Jahren dagegen, dass die Reichsregierung in Berlin jährlich den Tag der Verfassung in der Paulskirche begehen und eine Bronzeskulptur im Gedenken an den 1925 verstorbenen Reichspräsidenten Friedrich Ebert an der Paulskirche aufstellen wollte? Und warum steht in dem Vertrag, den die evangelische Kirche 1953 mit der Stadt Frankfurt schloss, dass das Kreuz auf dem Gebäude erhalten werden soll? Diese und weitere Fragen standen im Mittelpunkt der Veranstaltung.

Folgende Themen wurden auf Podiumsdiskussion adressiert: die Einordung der Nationalversammlung von 1848 in den Kontext der politischen Freiheitsbewegung des Vormärz. Die Rezeption des Luther’schen Freiheitsbegriffs in der Zeit des Vormärz. Inwiefern markiert Luthers Theologie eine der Politisierungsstufen des Protestantismus? Der liberale Protestantismus und seine konservativen Widersacher. Das Verhältnis des Protestantismus zur staatlichen Obrigkeit in der Kaiserzeit - Ernst Troeltsch (Kulturprotestantismus), Adolf Stöcker (Antisemitismus), Rheinische Missionsgesellschaft (Kolonialismus) – und in der Weimarer Republik. Reformorientierte als auch traditionalistische Strömungen in der evangelischen Kirche Frankfurts. Verhältnis des Protestantismus zu dem freiheits- und demokratiegeschichtlichen Erbe der Paulskirche, die einschlägigen Paulskirchenjubiläen 1898 und 1923. Das Verhältnis des evangelischen Paulskirchengemeinde zum Staat in der Weimarer Republik: Streit um die Errichtung einer Skulptur zu Ehren des ersten demokratisch gewählten Reichspräsidenten Friedrich Ebert (1926). Die Paulskirche im Nationalsozialismus (die Gemeindepfarrer Karl Veidt, Georg Struckmeier), Zerstörung und demokratischer Neuanfang 1948 – die Paulskirche wird zur nationalen Gedenkstätte, die Gemeinde verlegt ihre Gottesdienste in die Alte Nikolaikirche, Beibehaltung des Namens Paulsgemeinde; die Rolle des ersten Kirchenpräsidenten der EKHN nach 1945, Martin Niemöller. Dotationsvertrag von 1953: „Dem evangelischen Gemeindeverband wird von der Stadt Frankfurt die Zusicherung gegeben, dass nicht nur die historische, sondern auch die religiöse Tradition dieser Kirche gewahrt wird. Das Kreuz auf der Pauskirche darf nicht entfernt werden.“ Das Anliegen des Protestantismus und der Wunsch der evangelischen Kirche in Frankfurt nach Beteiligung in Bezug auf die künftige Gestaltung der Paulskirche und das geplante Demokratiezentrum.

Die Veranstaltung fand in Präsenz in Großen Saal der Evangelischen Akademie statt. Sie wurde auch per Livestream übertragen und ist über den YouTube-Kanal der Evangelischen Akademie abrufbar. Zusätzlich wurde die Aufzeichnung an drei Terminen im April im Offenen Kanal Hessen gesendet und ist ebenfalls über die Mediathek Hessen abrufbar. Ein Bericht von der Veranstaltung erschien in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung.

Stadtsalon

Über das gute Leben in Frankfurt und Offenbach

Ein Experiment: Akademie mal anders erleben. Der Raum sieht anders aus, das Licht ist anders, Papphocker, eine kleine Bar, ein Sekt zur Begrüßung, gute Musik, der Blick auf die Innenstadt ausgerichtet. An drei Abenden entstand so eine Salon-Atmosphäre, die dazu einladen sollte, über die Fragen der Stadt nachzudenken: Wie wollen wir hier leben? Was bedeutet Arbeit für die Region? Wie erleben wir Gemeinschaft? Was passiert kulturell?

Mit Gästen aus der Stadtgesellschaft und aus der Kirche gab es hierzu kurze Impulse, die dann im Raum diskutiert werden konnten: dezentral, selbstorganisiert, persönlich. So kamen ganz unterschiedliche Perspektiven ins Spiel und ins Gespräch.

Ausgangspunkt der Impulse – und auch das war neu – waren eine Zeitungsheadline für die Person aus der Kirche und eine Bibelstelle für die Person aus der Stadtgesellschaft. So schwang auch die Frage immer mit, was der Glaube, was die Kirche zu den einzelnen Themen beitragen kann.

Für viele, die die Akademie schon kannten, war es ein neues Erleben, wie Akademie auch funktionieren kann. Mit dem Format wurden aber durch die Einbeziehung der Musiker/innen sowie des Streetart-Künstlers Peng viele „neue“ Menschen erreicht, die die Akademie nicht kannten und ziemlich überrascht waren, dass Akademie „sowas“ macht. Viel positives Feedback erreichte uns und viele wünschten sich, dass die Reihe fortgesetzt wird.

Als Mann und/oder Frau geschaffen?

Menschen als geschlechtliche Wesen

Die Tillich-Lecture 2023 fand auf ausdrücklichen Wunsch der Referent/innen wie schon im Vorjahr „nur“ als Analogveranstaltung statt. (Die Studienleitung hätte eine Hybridveranstaltung begrüßt, um mehr Personen erreichen zu können. Die Tillich-Lecture des Jahres 2021, die via Youtube gestreamt wurde, konnte immerhin 531 Aufrufe verzeichnen.)

Zur Veranstaltung, bei der Eintritt erhoben wurde, fanden sich etwa 35 Teilnehmende in der Akademie ein. Nach einer Begrüßung und inhaltlichen Einleitung durch den Studienleiter moderierte Professor Dr. Heiko Schulz, Systematischer Theologe an der Goethe-Universität Frankfurt, die Veranstaltung in bewährter Weise. Die beiden Referent/innen des Abends waren die Philosophin Prof. Dr. Friederike Kuster (Bergische Universität Wuppertal und der Theologe PD Pfarrer Dr. Lukas Ohly (Goethe-Universität Frankfurt).

Die aktuellen Geschlechtertheorien basieren weitgehend auf dem Gedanken von Geschlecht als einer Konstruktion: Das Menschenwesen wird nicht als Frau oder Mann geboren, es wird dazu gemacht, wie es Simone de Beauvoir 1949 in ihrem Klassiker „Das andere Geschlecht“ erstmalig für die Frauen formuliert hatte. Judith Butler hat in den 1990er Jahren diesen Gedanken unter Berufung auf John L. Austins Sprechakttheorie weiterentwickelt und behauptet, die geschlechtliche Identität eines Menschen beruhe nicht auf seiner biologischen Ausstattung, sondern werde durch Sprechakte und somit verbale Zuschreibungen konstituiert. Ebenfalls seit den 1990er Jahre wird die die traditionelle Geschlechtermatrix als Heteronormativität oder Zwangsheterosexualität bezeichnet. Inzwischen hat sich nicht nur in der Theorie, sondern auch in der Realität (der meisten westlich-liberalen Länder) das anatomische Geschlecht von der Geschlechtsrolle und dem Geschlechtsrollenverhalten und von der ausschließlich gegengeschlechtlichen Begehrensrichtung entkoppelt. Geschlecht, Geschlechtlichkeit ist gleichsam in die drei Module sex (Körpergeschlecht), gender (soziales Geschlecht oder Geschlechtsrolle) und desire (sexuelles Begehren) zerlegt, die jetzt frei und flexibel kombiniert werden können in hetero-, homo- und bisexuell und diverse transversale, querliegende, queere Formen. Darüber hinaus ist der rigide Binarismus des anatomischen Körpergeschlechts zugunsten der Anerkennung eines Spektrums gelockert worden; zwischen eindeutig weiblich und eindeutig männlich werden anatomische Zwischenformen gelten gelassen: Eintrag divers. Oder alles zusammen: LGBTIQ plus … Die Philosophie folgt in diesen Fragen zunächst einmal auch den empirischen Einzelwissenschaften, deren Ergebnisse sie offen zur Kenntnis nimmt und die sie nicht aus einer Metaperspektive moralisch bewertet.

Letzteres gilt ebenfalls für die theologische Reflexion. Sie geht, soweit sie an Paul Tillich anschließt, davon aus, dass das Leben sich ohnedies immer in ontologischen Polaritäten vollzieht, die niemals einander vollständig ausschließende Gegensätze darstellen, und andererseits wesentlich eine geschichtliche Dimension hat. Menschliches Leben ist nicht, sondern wird – das gilt auch für die geschlechtliche Identität eines Menschen.

Das bedeutet wiederum, dass die Geschlechteridentität verdankt sich einem dynamischen Prozess verdankt. Welches Geschlecht ich habe, ist mir nicht vorgegeben, sondern stellt sich erst heraus. Das individuelle Geschlecht ist der jeweilige Zustand eines lebensgeschichtlichen Prozesses, in dem biologische, soziale und moralische Aspekte mit umfasst sind. Mit der biologischen Festlegung der Geschlechter ist sozial und moralisch noch nichts entschieden, aber die scheinbare Alternative Sex vs. Gender ist auch keine Alternative zwischen Amoralität und Moral. Die Wirklichkeit ist komplexer, darum auch anstrengender und vor allem auch nicht ein für allemal feststellbar, sondern bedarf ständiger Aushandlungsprozesse – individuell, sozial und moralisch.

In der Mediathek der Akademie finden sich die thematische Einführung des Studienleiters sowie die beiden Impulsvorträge, an die sich eine rege, aber hier nicht dokumentierte Debatte im Plenum anschloss.

Ein großer Dank für die Unterstützung der Tillich-Lecture 2023 gebührt wie in den Vorjahren dem Förderverein der Evangelischen Akademie Frankfurt.

Johannisnacht

Sommerempfang

Jedes Jahr, rund um den Johannistag, lädt die Evangelische Akademie Frankfurt gemeinsam mit ihrem Förderverein zur Johannisnacht ein. An diesem Abend sollen alle Menschen aus der Akademie-Community die Akademie als „ihre Akademie“ feiern. Und die Akademie will sich an diesem Abend von ihrer besten Seite zeigen.

2023 stand der Abend inhaltlich unter der Überschrift „Haltung“. Hanna-Lena Neuser moderierte den Abend gemeinsam mit dem Kabarettisten Severin Groebner, der derzeit mit seinem Bühnenprogramm „ÜberHaltung“ auf Tour ist. Zudem gab es drei ganz unterschiedliche Impulse von Menschen, die in besonderer Weise Haltung zeigen.

Da war der plastische Chirurg, der mit der Organisation interplast in Krisengebiete der Welt reist, um Menschen zu operieren. Er berichtet eindrücklich von seinen Erfahrungen und davon, dass es neben den Kriegsverletzungen und Misshandlungsfolgen eben auch noch die „ganz normalen“ Befunde gibt, die es zu behandeln gilt: angeborene Fehlbildungen, die ein Menschenleben auch massiv beeinträchtigen, aber in Krisengebieten oft in der Dringlichkeit nach hinten rutschen.

Auch die Tangolehrerin hat das Publikum inspiriert, über das Thema Haltung aus tänzerischer, körperlicher Perspektive nachzudenken. Und schließlich der junge Student und Aktivist, ehemaliger Stipendiat der Jungen Akademie, der in seinem Impuls einen beeindruckenden Einblick, in die Perspektive eines Geflüchteten in Deutschland gab, der sich nicht auf seinen Migrationshintergrund reduzieren lassen will.

Mit all diesen ganz unterschiedlichen Eindrücken und Impulsen im geistigen Gepäck klang dann der Abend aus. Zahlreiche Gespräche, vertiefende Diskussionen über die Themen des Abends, guter Wein, leckeres Essen – und dieses Jahr erstmalig mit einem DJ im Panoramasaal. Ein schöner Rahmen für einen Sommerempfang. Musikalisch flankiert wurde das Programm von Quadro Mosaico.

Die Johannisnacht war ein bunter, vielfältiger und stimmungsvoller Abend, den die Gäste, die Mitwirkenden und das Akademieteam sehr genossen haben und schon jetzt die Vorfreude auf das nächste Jahr wachsen lässt. Man darf gespannt sein!

Friedensgutachtens 2023

„Die neuen Krieger“ und: „Noch lange kein Frieden“

Das Friedensgutachten 2023 der vier führenden Institute für Friedens- und Konfliktforschung in der Bundesrepublik analysiert die Konflikte und Kriege der Gegenwart, stellt auch in diesem Jahr wieder die Friedens- und Sicherheitspolitik Deutschlands und Europas auf den Prüfstand und gibt Empfehlungen für eine friedensorientierte Politik. Nach der allgemeinen Einführung in den Inhalt des Gutachtens durch Dr. Claudia Baumgart-Ochse (Leibniz-Institut Hessische Stiftung für Friedens- und Konfliktforschung, Frankfurt) führte Dr. Marc von Boemcken (Universität Bonn, BICC – Bonn International) in das spezielle Thema des Abends („Die neuen Krieger“) ein. Es war durch die erst wenige Tage zuvor erfolgte Aktion der „Gruppe Wagner“ um den Söldnerführer Prigoschin (der abgebrochene „Marsch auf Moskau“), der das Putin-Regime provozierte und herausforderte, unerwartet aktuell geworden. Aus friedenstheologischer Sicht brachte Frau Christine Hoffmann, Generalsekretärin der internationalen katholischen Friedensbewegung „Pax Christi“, Gedanken und Friedensimpulse von Papst Franziskus in das Gespräch ein.

Das aktuelle Friedensgutachten enthält auf der Grundlage seiner Analysen und der zentralen, leider aber pessimistischen Prognose, der Krieg in der Ukraine werde voraussichtlich noch sehr lange (Jahre oder Jahrzehnte), dauern, folgende acht zentrale Empfehlungen für das politische Handeln:

  • Fortdauernde Unterstützung der Ukraine sicherstellen – auch die Unterstützung durch Waffenlieferungen
  • Verhandlungen in den Blick nehmen, aber nicht um jeden Preis (und nicht zu früh, denn der Konflikt muss erst „reif“ werden für Verhandlungen)
  • Feministische Außenpolitik muss in konkreten Fällen glaubwürdig bleiben
  • Die Wagner-Gruppe international rechtlich sanktionieren
  • Zivile Hilfe nicht durch militärische Logik bestimmen lassen
  • Fokus auf Rüstungskontrolle aufrechterhalten
  • Verflechtung sichert nicht den Frieden, kann ihn aber unterstützen
  • Politischen Protest nicht kriminalisieren

Anwesend waren an dem Abend in Haus am Dom ca. 80 Personen. Das erklärt sich sicherlich auch durch die brisante politische Situation, die in Russland durch die Aktion der „Gruppe Wagner“ erst wenige Tage vorher entstanden war und die im Titel „Die neuen Krieger“ thematisch aufgegriffen wurde. Das Video der Veranstaltung findet sich auf den Youtube-Kanälen der beiden Akademien und wurde bisher 303x aufgerufen. Die Mediathek der Ev. Akademie Frankfurt enthält unter anderem wieder den Wortlaut von Begrüßung und thematischer Einführung durch den Studienleiter, der einen weiten historischen Bogen spannt von den Söldnern der Antike über die Landsknechte des 16. und 17. Jahrhunderts und die Freikorps der Weimarer Republik bis hin zu der „Söldnergruppe Wagner“ in der Gegenwart.

Ein großer Dank für die Unterstützung der Veranstaltung 2023 gebührt wie in den Vorjahren dem Förderverein der Evangelischen Akademie Frankfurt.

DAS ANDERE 1848

JENSEITS DER PAULSKIRCHE

Anwesend waren an dem Abend in der Ev. Akademie ca. 30 Personen.

Podiumsgäste waren Janine Wissler (Abgeordnete des Deutschen Bundestages und Vorsitzende der Partei „Die Linke“), Prof. Dr. Gerhard Wegner (ehemaliger Leiter des Sozialwissenschaftlichen Instituts der Evangelischen Kirche in Deutschland sowie aktuell der Antisemitismusbeauftragte des Bundeslandes Niedersachsen) und Hibba Kauser (Studentin der Soziologie und der Politikwissenschaften, Stadtverordnete der Stadt Offenbach am Main und stellvertretende Vorsitzende der hessischen Jungsozialist*innen).

Die Veranstaltung ist dokumentiert auf dem Youtube-Kanal der Ev. Akademie Frankfurt: https://www.youtube.com/watch?v=w6Q5ONFS1mM. (dort 257 Aufrufe) sowie im Offenen Kanal Rhein-Main – Mediathek: https://www.mediathek-hessen.de/medienview_31134_von-Evangelische-Akademie-Frankfurt-Markus-Schmid-.html (dort 1620 Aufrufe) und ebenfalls in der Mediathek der Akademie: https://www.evangelische-akademie.de/mediathek/medien/?event=2789.

Sinn und Zweck der Veranstaltung war, die soziale Frage als einen wichtigen Aspekt auch der politischen Entwicklung rund um das Jahr 1848 in den Blick zu nehmen. In den meisten Veranstaltungen rund um das Jubiläumsjahr 1848 wurden die Themen „Freiheit(srechte)“, „Nationaltät(sfragen)“ und „Verfassungsrecht(sfragen)“ behandelt. Zweifellos sind das wichtige Themen. Ebenso zweifellos aber klammert man mit dieser Fokussierung – die auch der Fokussierung des seinerzeitigen Nationalparlaments entspricht – die ebenfalls relevanten Gerechtigkeitsaspekte aus, die von Karl Marx und Friedrich Engels im selben Jahr im „Kommunistischen Manifest“ thematisiert wurden. Das Elend der schlesischen Weber, die bittere Armut von Industriearbeitern, der Skandal der Kinderarbeit, auch die Rechte der Frauen spielten in den damaligen Parlamentsdebatten nahezu keine Rolle und wurden auch in vielen Rückschauen auf das Jahr 1848 nicht in den Blick genommen. Die soziale Frage war in der Paulskirche deutlich unterbelichtet, hatte doch die Linke dort keine Chance auf eine Mehrheit und blieb die „äußerste Linke“ rund um Marx und Engels ohnehin ganz „außen vor“.

Die Diskussionen des Abends zeigten auf, dass es bereits 1848 und in der Zeit danach für diejenigen, die die soziale Frage wahrnahmen, mindestens drei verschiedene Ansätze gab, wie man diese Frage beantworten und das mit ihr verbundene Problem lösen könne. Holzschnittartig gesagt, gab es den Weg, den Karl Marx und Friedrich Engels bahnen wollten: den Weg der Revolution. Am anderen Ende des politischen Spektrums gab es die Konservativen mit einem sozialen Herzen, zu denen der Theologe Johann Hinrich Wichern gehörte, der ebenfalls 1848 für die „Diakonie“ als Form der „Inneren Mission“ warb – der Ursprung von Diakonie und Caritas. Und dann gab es da noch, sozusagen in der Mitte, aber erst in der Folgezeit sich entwickelnd, die sozialreformerische Lösung, zu der hin sich der einstige Revolutionär Ferdinand Lassalle entwickeln sollte und auf die die Sozialdemokratie setzte. Bei allen Unterschieden im Einzelnen hatten diese drei Wege gemeinsam, dass sie die Menschen „im Dunkeln“ wahrnahmen und sie ins Licht führen wollten – dass sie die am Rande Stehenden sahen und sie in die Mitte der Gesellschaft führen wollten – dass sie diejenigen, die am Boden lagen, aufheben und auf eigene Beine stellen wollten. Alle drei Lösungsansätze haben also mit der Würde von Menschen zu tun – von ganz bestimmten Menschen, von Arbeitern und Arbeitslosen, von armen Menschen, von weiblichen Menschen. Die Frauen und die Armen standen damals im Abseits. Der Abend warf einen Blick in dieses Jenseits oder Abseits und streifte zugleich Fragen der Gegenwart. Denn auch 175 Jahre danach gibt es eine soziale Frage. Und selbst das Kommunistische Manifest ist in mancher Hinsicht, wie die Debatte zeigte, durchaus noch immer aktuell und relevant.

Ein großer Dank für die Unterstützung der Veranstaltung gebührt dem Förderverein der Evangelischen Akademie Frankfurt.

Umkämpft! Demokratie

Sommerakademie der Jungen Akademie Frankfurt

Die Sommerakademie fand in üblicher Tradition vom 14.-17. September 2023 im Martin-Niemöller-Haus in Arnoldshain statt.

Aus anfänglichen Projektskizzen sind kreative Projektkonzepte entstanden, die ein breites und öffentliches Publikum ansprechen. Der Wechsel aus Arbeitsphasen und Präsentationsphasen hat sich über den gesamten Zeitraum der Sommerakademie erstreckt. Jenseits der Projektarbeit wurde viel über Politik diskutiert, über den Stellenwert des Ehrenamtes, über die eigene politische Haltung der jungen Generation und über die Suche nach Gestaltungsspielräumen in einer Gesellschaft, in der Leistung und Performance nach wie vor sehr leitend sind. Und eine Wanderung auf den Feldberg war Dank des großartigen Wetters auch möglich.

Alle Teilnehmenden vor Ort haben sehr profitiert vom Input und der Beratung durch Gregor Dehmel, Gründer von Politik zum Anfassen e.V. Er gab am Freitagvormittag einen ausführlichen und beispielhaften Impuls, in dem er aus seinen 18 Jahren Erfahrung in der Entwicklung und Durchführung von Demokratieprojekten berichtete. Auch sein Impuls am Freitagnachmittag zum Thema Fördergeldakquise und Antragsstellung war für die Projektgruppen sehr hilfreich und anschlussfähig für die Fragestellungen und den Transfer der Teams.

Wir haben uns sehr darüber gefreut, dass in diesem Jahr auch Besuch des Fördervereins vor Ort war. Christian Jakob und Nicole Lauterwald schilderten von den Aufgaben und Ideen des Fördervereins und trugen so dazu bei, dass ein ehemals „abstraktes Gremium“ ein Gesicht bekam. Das hilft sicher bei der Entscheidung der Stipendiat/innen, Mitglied im Förderverein zu werden. Dazu half und ermutigte den Gruppen die Beratung und Expertise in Sachen „Business-Gründung“ und „Projekt-Pitchen“ durch Christian Jakob. Für die weiteren Sommerakademien der Jungen Akademie eine unbedingte Empfehlung, an so einem Besuch des Fördervereins weiter festzuhalten.

Diese Projekt-Teams sind aus der Sommerakademie hervorgegangen:

Team „Postkarte“:
Das größte Projektteam mit acht Personen möchte mit Hilfe von selbstgestalteten Postkarten einen Beitrag dazu leisten, dass sich Schüler*innen aus ihren „Blasen“ bewegen und mit Gleichaltrigen aus anderen Schulen und Schulformaten in den Austausch finden. Die Karten sollen von Lehrer/innen im Unterricht aufgegriffen werden und den Blick über den eigenen Tellerrand schärfen. Das Projektteam hat bereits Kontakt zu möglichen Partnerschulen aufgenommen und ein erstes Kartendesign entwickelt.

Team „Europa-Quartett“:
Das Projektteam möchte im Kontext der anstehenden Europa Wahlen ein Quartett-Spiel entwickeln, mit relevanten Items zu allen 27 EU-Staaten. Das Quartett soll mit pädagogischem Begleitmaterial an Schulen zum Einsatz kommen, um Jugendliche mit Europa und den europäischen Mitgliedsstaaten vertrauter zu machen. Das Außergewöhnliche an dieser Gruppe – sie hat sich in dieser Konstellation erst in der Sommerakademie gefunden und sich ein neues Projektziel in sehr kurzer Zeit sehr effizient organisiert.

Team „DemokARTie“:
Das kleinste Projektteam mit 3 Personen hat sich zum Ziel gesetzt, die Welten von Kunst und Politik miteinander zu verbinden. Dazu möchten sie gerne einen eintägigen Workshop für Erwachsene entwickeln, der in Museen oder bei Bildungsträgern angeboten und vom Projektteam selbst durchgeführt wird. Der Workshop soll Einblicke schaffen in die Historie von politischer Kunst und Geschichten erzählen über Werke und politische Künstler/innen. Dazu sind die Teilnehmenden eingeladen, sich mit ihrem eigenen politischen (Er-)Leben in künstlerischer Form auseinandersetzen und in den Austausch darüber mit den anderen Teilnehmenden treten.

Team „Adventskalender“:
Das Team verfolgt die Idee, das Format des Adventskalenders zu nutzen und jedes der 24 Türchen zu nutzen, um insbesondere eine Bühne zu schaffen für interessante, außergewöhnliche, engagierte und ggf. auch nicht so sichtbare Menschen und Projekte, die sich für die Demokratie (ehrenamtlich) einsetzen und stark machen. Der Kalender soll mit QR-Codes gefüllt werden, die auf die entsprechenden Menschen und Projekt hinweisen. 

Die Zeit in der Sommerakademie, ist ähnlich wie der Auftakt, unbeschreiblich wertvoll und verbindend für die Entstehung der Projekte aber auch für das Zusammenwachsen der Gruppe und den Austausch und das Erleben der eigenen Werte und Ideen.

Wir dürfen gespannt sein auf die finalen Projekte dieser inspirierenden jungen Menschen am 13.10.2023 beim Demokratie-Slam in der Evangelischen Akademie.

ÜBER KREBS SPRECHEN

ZWISCHEN HOFFNUNG UND LAST

Die Diagnose „Krebs“ kam im 19. Jahrhundert einem Todesurteil gleich, weil Behandlungsmöglichkeiten fehlten. Heute wecken die neuen Möglichkeiten der personalisierten Diagnostik und Therapie sehr hohe Erwartungen an einen möglichst vollständigen, heilenden Therapieerfolg. Zugleich wird die Frage: Was passiert mit mir, wenn die Behandlung nicht hilft? häufig vermieden. Dass es Mut erfordert, auch über tabuisierte Empfindungen zu sprechen, weil nur so eine Lebensplanung in offener und ehrlicher Kommunikation und Selbstbestimmung möglich ist, war eines der Themen, die Bettina Hitzer in ihrem Vortrag am 5. Dezember 2022 aufgegriffen hatte. Bettina Hitzer ist Historikerin am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung, Berlin, und Professorin am Fachbereich Geschichte, Ethik und Theorie der Medizin des Universitätsklinikums Magdeburg. Ihre Arbeiten zur Wissens- und Emotionsgeschichte sowie zur Migrations- und Religionsgeschichte wurden im Jahr 2016 mit dem Walter-de-Gruyter-Preis der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften ausgezeichnet.

Anlass der Einladung war Bettina Hitzers Buch „Krebs fühlen – Eine Emotionsgeschichte des 20. Jahrhunderts“ (Klett-Cotta 2020), in der sie u.a. der Frage nachgegangen ist, welche Hürden und Schwierigkeiten bestehen, über eine schwere Erkrankung zu sprechen. Für Patient/innen und Angehörige, aber auch Mitglieder des Behandlungsteams hat sie in ihrem Vortag hilfreiche Einblicke gegeben und der anschließende Austausch mit den Teilnehmer/innen hatte gezeigt, wie wichtig es ist, derartige Austauschmöglichkeiten zu schaffen. Die Veranstaltung bestätigte auf eindrückliche Art und Weise, dass die gesamte Vortragsreihe „Um Leben und Tod – aktuelle Herausforderungen in der personalisierten Medizin“, die im Herbst 2017 in der Evangelischen Akademie begonnen und bisher von insgesamt über 1800 Teilnehmer/innen verfolgt wurde, auf breite Resonanz trifft. Dies liegt natürlich vor allem an den Referierenden, die mit ihren verständlichen und eindrücklichen Beiträgen aus Medizin, Psychologie, Theologie, Literatur, Musik, Film und Malerei aufzeigen, wie vielfältig die Auseinandersetzungen mit den existenziellen Fragen sind, die durch eine (Krebs)Erkrankung aufgeworfen werden. So ist es ein wichtiges Ziel der Vortragsreihe, auch alle an einer onkologischen Behandlung beteiligten Personen für die körperlichen, seelischen und spirituelle Bedürfnisse der Patient/innen zu sensibilisieren.

Uns drohen die Drohnen

Sie sind schon da!

Anwesend waren an dem Abend in der Evangelischen Akademie ca. 40 Personen. Das Video der Veranstaltung zeigt die Impulsvorträge vom 30. August 2023 von Anja Dahlmann (Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik), Dr. Niklas Schörnig (Leibniz-Institut Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung) und Dr. Eberhard Pausch (Evangelische Akademie Frankfurt). Die Moderation übernahm Daniel Untch (Zentrum Ökumene der EKHN und der EKKW).

Auf dem Youtube-Kanal der Akademie wurde es bisher 242x aufgerufen (https://www.youtube.com/watch?v=apdJPc3uW2Y). Dazu kommen die 398 Aufrufe in der Mediathek des Offenen Kanals Rhein-Main (https://mediathek-hessen.de/medienview_31052_Markus-Schmid-Uns-drohen-die-Drohnen.-Sie-sind-sch.html). Schließlich ist das Video auch über die Mediathek der Ev. Akademie Frankfurt abrufbar. https://www.evangelische-akademie.de/mediathek/medien/?event=2906.

Inhaltlich zeigte der Abend, wie weit fortgeschritten die Drohnentechnik in der Gegenwart ist, ferner, dass ihre Nutzung nicht rückgängig gemacht werden kann und insofern unvermeidlich ist – dass es aber gerade deshalb und vor dem Hintergrund der Erfahrungen in den aktuellen Kriegsszenarien ethisch geboten ist, auf eine völkerrechtliche Regulierung dieser Technik hinzuwirken. In einem zu fordernden internationalen Regelungswerk könnten folgende Aspekte eine Rolle spielen:

  • Von allen verschiedenen Arten von „Drohnen“ sind wohl am ehesten die „Aufklärungsdrohnen“ zu rechtfertigen. Sie dienen am deutlichsten der Prävention und können selbst keinen oder jedenfalls wenig Schaden anrichten.
  • Sodann kann man wohl sagen, dass ausschließlich defensiv verwendbare Kampfdrohnen akzeptabler wären bzw. sind als auch oder sogar ausschließlich offensiv verwendbare. (Jedoch ist die Grenze zwischen beiden Gattungen von Drohnen sehr fließend – fast jede defensiv verwendbare Drohne kann auch offensiv eingesetzt werden).
  • Kampfdrohnen sind jedoch nicht zu verwechseln mit autonomen Kampfsystemen, die selbstständig wirken und über künstliche Intelligenz verfügen. Sie bilden die nächste Stufe technischer Entwicklung und stellen sehr hohe Anforderungen an die Menschen, die sie rechtlich reglementieren und ihren Einsatz verantwortlich steuern wollen bzw. sollen – soweit bei künstlicher Intelligenz überhaupt eine Steuerung möglich ist.
  • Besondere Sorge machen könnte der Punkt, an dem die Künstliche Intelligenz das Stadium der „technologischen Singularität“ erreicht – Expert*innen erwarten den Kipppunkt etwa im Jahr 2050.

Eine umfassendere friedensethische Einschätzung des Themas bietet das gleichnamige Kapitel „Uns drohen die Drohnen“ in: Eberhard Martin Pausch: Auf der Suche nach dem gerechten Frieden, Frankfurt am Main 2023, 77-88.

Ein großer Dank für die Unterstützung der Veranstaltung gebührt dem Förderverein der Evangelischen Akademie Frankfurt.

AUFBAU IM ABBAU

ES BLEIBT AKTUELL

Der Reformprozess ekhn2030 entwickelt sich stetig weiter. Die notwendigen Schritte zur Erneuerung werden konkreter, die Debatten mitunter heftiger. Junge Menschen erleben diesen Prozess in der Kirche aus ihrer eigenen Perspektive. Sie entwickeln ihre eigene Position dazu, haben Wünsche und Vorstellungen – tragen aber auch einiges an Frust mit sich herum. Dabei geht es insbesondere um starre Vorgaben, Strukturen und eine gewisse Resistenz der Kirche, sich hin zu einer Kirche der Zukunft – so wie sie sich junge Menschen wünschen – zu entwickeln.

Mit dem Format Aufbau im Abbau setzen wir an der Stelle an, an der es um den positiven Blick auf Veränderung geht: wie kann Veränderung nicht nur irgendwie, sondern kreativ und sinnhaft gelingen? Und welche Erkenntnisse und Erfahrungen helfen bei dem Diskurs über diese Veränderungen?

In diesem Jahr haben wir uns dafür eine „Außenperspektive“ eingeladen. Prof. Dr. Klaus-Michael Ahrend, Vorstandsmitglied der HEAG in Darmstadt und Herausgeber des Buches „Innovationsökosysteme“, hat seine Erkenntnisse und Beobachtungen aus dem betrieblichen und öffentlichen Sektor in die Kirche transferiert und damit Ideen und Impulse in die kirchliche Innovations-Debatte eingetragen. Im anschließenden Austausch bei Kaltgetränk und Pizza konnten die Teilnehmenden Rückfragen stellen und das Gehörte in Beziehung zu ihren eigenen Veränderungsbemühungen setzen.

Leider konnte in diesem Jahr der geplante Vertreter der Kirchenleitung, Dr. Lars Esterhaus, aus terminlichen Gründen nicht an der Runde teilnehmen. Aber er hat großes Interesse signalisiert, an einem nächsten Format dieser Art dabei zu sein. Wir bleiben dran!

HERMAN MELVILLES „MOBY-DICK“

MEDIZIN IN DER LITERATUR

Wenn jedes Jahr in Deutschland etwa 200.000 (!) Bücher neu erscheinen, fällt der Überblick und schwer. Was soll man lesen? Was ist gute Literatur? Seit mehreren Jahren geben wir in der Evangelischen Akademie dazu Hilfestellung und konzentrieren uns dabei besonders auf das Themenfeld „Medizin und Literatur“. Wie Menschen mit Erkrankungen und Schicksalsschlägen umgehen, war für Leserinnen und Leser stets interessant, wie auch Bücher selbst eine therapeutische Wirkung entfalten konnten. So haben in unserer Reihe auch jene berühmten Bücher Platz gefunden, die vom Namen her jede und jeder kennt, aber bei ehrlicher Prüfung kaum jemand wirklich gelesen hat. Dies betraf unsere Literaturauswahl der letzten Jahre, wie beispielsweise Mary Shelleys „Frankenstein“ oder Bram Stokers „Dracula“. Diesmal hatten wir uns Herman Melvilles Meisterwerk „Moby-Dick“ vorgenommen. Das Buch war bereits in der alten ZEIT-Bibliothek der „100 besten Bücher“ aufgenommen worden und hat zurecht auch seinen Platz gefunden in der neuen ZEIT-Bibliothek der Weltliteratur, weil es zu jenen Büchern gehört, die wahre „Lebensgefährten“ werden und Leser und Leserinnen lebenslang begleiten können. In der Evangelischen Akademie befördern wir diese literarischen Entdeckungsreisen dadurch, dass ausgewählte Passagen von der bekannten Schauspielerin Mechthild Großmann vorgetragen werden, die mit ihrer tiefen, rauchigen Stimme die Zuhörer schon mit dem ersten Satz auf magische Weise einfängt. Für ihre Hörbücher ist sie mehrfach ausgezeichnet worden.

Bei der Veranstaltung konnte jeder nachspüren, dass „Moby-Dick […] nicht nur das größte Buch [ist], das von einem Amerikaner geschrieben worden ist; es ist auch das größte amerikanische Buch“, so Henry Bamford Parkes, Professor für Geschichte an der New York University im Jahre 1947. Es ist in der Tat ein gewaltiges, rätselhaftes, philosophisches und religiöses Buch, das in Deutschland lange Zeit unentdeckt geblieben ist, weil die ersten Übersetzungen sehr stark gekürzt waren und zu dem Missverständnis führten, es handle sich bloß um ein Abenteuerbuch für Kinder und Jugendliche. Doch weit gefehlt! In der vollständigen Fassung mit seinen 1000 Seiten geht es um nichts weniger als um die großen Fragen der Menschheit: Gibt es ein Schicksal? Gibt es Vorsehung? Wie weit reicht die menschliche Freiheit? In der vor 175 Jahren erschienen Erzählung geht es auf veblüffende Weise um hochaktuelle und brisante Themen: Es geht um die Maßlosigkeit des Menschen im Hinblick auf die Ausbeutung der Natur und um die Rache der Natur. Es geht um die Spannungen in multikulturellen Gesellschaften, die Überwindung der Angst vor dem Fremden, die Folgen von Ausgrenzung, das Einfordern religiöser Toleranz, die Überheblichkeit des weißen Mannes, den kritischen Blick auf die Zivilisation, die Anfälligkeiten der Demokratie. Es geht um die Gefahren, die von charismatischen Führern ausgehen, die Macht der Rhetorik, die Verführbarkeit des Menschen. Es geht um Aberglauben und Wissenschaft, um Krankheit, Sterben und Tod.

Um diese unterschiedlichen Aspekte näher zu beleuchten, wurde die Lesung von Mechthild Großmann durch Kommentare aus medizinischer Sicht (Prof. Dr. Klaus Lewandowski, Berlin), ethischer Sicht (Prof. Dr. Kurt W. Schmidt, Frankfurt/M.) und psychiatrischer Sicht (Dr. Susanne Markwort, Offenbach und Prof. Dr. Martin Hambrecht, Darmstadt) ergänzt.

Wo steckt das WIR in Wirtschaft?

Ein interaktiver Stadtrundgang durch Frankfurt zu Wirtschaft und Demokratie

Drei Absolvent/innen von Team.Bilden bereichern unser Jugendbildungsangebot seit Oktober mit einem völlig neuen, innovativen Format. 

Mit Team.Bilden können sich Menschen zwischen 18 und 26 Jahren in der Evangelischen Akademie Frankfurt für die politische Jugendbildung qualifizieren. Im Anschluss können sie als Teil unseres Teams auf Honorarbasis unsere Bildungsarbeit für junge Menschen zwischen 14 und 18 Jahren mitgestalten. Das Besondere an Team.Bilden: Die Teamer/innen führen nicht nur weiter, was in unserem Angebotsspektrum schon immer thematisch festgelegt war, sondern können ihre eigenen inhaltlichen Schwerpunkte und methodischen Formate wählen. Mitja Hoffmann, Tim Rieth und Tabea Müller haben die Chance wahrgenommen und ein eigenes Bildungsangebot entwickelt zu einem Thema, das ihnen unter den Nägeln brennt.

Mit den politischen Jugendbildnerinnen der Akademie im Rücken, sehr viel Engagement und profunden Fachwissen haben die drei über einen Zeitraum von drei Monaten einen interaktiven Stadtrundgang entwickelt, der an den Orten des Geschehens mit großer Methodenvielfalt zur Auseinandersetzung mit Wirtschaft, Unternehmen und Demokratie einlädt. An der Paulskirche, in den Schluchten der Bankentürme und am Gewerkschaftshaus wird auf dieser spannenden Tour die Frage erörtert, warum Politik demokratisch ist – Wirtschaft und Unternehmen hingegen nicht. Durch Gedankenexperimente, Medieneinblicke und interaktive Methoden werden Unternehmen sowie das Phänomen Demokratie aus einem neuen Blickwinkel betrachtet.

Die Teamer/innen konnten den Stadtrundgang bereits zwei Mal erfolgreich mit Gruppen erproben, einmal als Backstage Angebot für Mitglieder des Fördervereins, der die Entstehung des Stadtrundgangs großzügig unterstützt hat. Ab sofort steht er Schulklassen und Jugendgruppen zur Buchung zu Verfügung. Am 23.2.2024 und 25.5.2024 ist er als offenes Angebot für Einzelpersonen buchbar.

International Youth Summit

Jugendkonferenz

Viele junge Menschen wollen nicht einfach zuschauen, wie ihr Lebensraum – der einzige Planet, den wir haben – langsam zerstört wird. Sie wollen versuchen, ihn zu retten. Wenige Tage vor dem 28. UN-Weltklimagipfel sind die Fakten leider ernüchternd: Zwei neue Studien legen nahe, dass in nur sechs Jahren das Ziel nicht mehr erreichbar ist, die Erderwärmung auf unter 1,5 Grad zu begrenzen. Der Copernicus-Klimawandeldienst geht davon aus, dass 2023 das wärmste Jahr seit Beginn der Aufzeichnungen sein wird. Und die Ausstöße klimaschädlicher Emissionen steigen – im Jahr 2022 waren sie so hoch, wie noch nie.

Als Climate Ambassadors, mit Baumpflanzaktionen und in Demonstrationszügen zeigen junge Menschen rund um die Welt, dass sie Änderung sehen wollen. Was können wir in der Evangelischen Akademie Frankfurt als Bildungsinstitution machen, um sie dabei zu unterstützen? Wie wäre es mit einem internationalen Begegnungsformat, bei dem man sich vernetzen, Expert*innen treffen, neues lernen und eigene Forderungen formulieren kann? Genau das probierten wir diesen Herbst in Kooperation mit der Stiftung Plant-for-the-Planet und ihrem internationalen Netzwerk unabhängiger Organisationen.

Vier Tage lang trafen sich vom 5. – 8. Oktober 2023 über 50 aktive, engagierte und neugierige junge Menschen aus insgesamt 20 Ländern in der Evangelischen Akademie Frankfurt; aus Mexico, Indien, Nigeria, Italien – und natürlich aus der Rhein-Main-Region. Das Youth Summit konzentrierte sich auf Fragestellungen rund um die Herausforderungen und innovativen Lösungen bei der Finanzierung einer klimagerechten Welt. Das Thema der Konferenz kam von den Jugendlichen, die sich ehrenamtlich bei Plant-for-the-Planet engagieren. Ein ungewöhnliches Thema für junge Menschen vielleicht, aber wie Felix Finkbeiner, Gründer von Plant-for-the-Planet (übrigens damals im Alter von 9 Jahren), in seiner Eröffnungsrede erklärte, ist die Frage der Klimafinanzierung eine der zentralen Herausforderungen zur Bewältigung der Klimakrise. Bei der letztjährigen Weltklimakonferenz in Ägypten wurde berechnet, dass die Umstellung auf eine kohlenstoffarme Wirtschaft Investitionen in Höhe von vier bis sechs Billionen USD pro Jahr benötigt. Von wo sollen die Gelder kommen, wofür sollten sie eingesetzt werden, wer soll das wie entscheiden und was heißt „gerecht“ in dem Zusammenhang? Das waren einige der Fragen, die uns im Organisationsteam beschäftigten.

Von Klimafinanzierung und dem guten Leben

Um diesen Fragen nachzugehen, gab es Inputs, Workshops, Diskussionen und – wenn wir schon mal in Frankfurt sind – einen Besuch bei der Europäischen Zentralbank am Mainufer. So teilte beispielsweise Globalisierungsexperte Prof. Dr. Dr. Dr. h.c. F. J. Radermacher seine Expertise rund um die Frage, wie arme Länder wachsen und sich entwickeln können, ohne dass dies zur Katastrophe für das Klima wird. Seine Botschaft war klar: Reiche Länder können das Problem der Erderwärmung nicht auf ihrem eignen Boden lösen. Sie müssen mit den armen Ländern kooperieren. Wo die einen Finanzierung und Technik anbieten können, können andere Systemdienstleistungen beitragen.

Kann privates Geld Teil der Lösung sein? Das war eine der Fragen, die Dr. Karishma Ansaram vom UN High Level Climate Champions Team, Dr. Verena Kröss, Beraterin bei WEED e.V., und Finanzexpertin und ehemalige Bankenmanagerin Marie Kuhn miteinander auf einem Podium diskutierten. Einig waren sie sich nicht: Während eine geeignete Lösung schien, Regeln wie die EU-Taxonomie einzuführen, wodurch Kapitalströmen so gelenkt werden, dass in „grüne“ Technologie investiert wird, gab es ebenfalls das Argument, dass private Gelder das Klimaproblem nicht lösen werden. In Anpassungsmaßnahmen will kaum jemand investieren. Das Podiumsgespräch mit dem Titel „Financing Our Future. Mobilizing Trillions, Transforming Systems, And Empowering Global Action“ kann hier angeschaut werden.

Kann Kapitalismus Klima? Um den Teilnehmenden bei dieser Frage ein paar neue Gedanken mitzugeben, stellte Dr. Jerome Warren von der Académie royale des Sciences, des Lettres et des Beaux-Arts de Belgique ein Potpourri alternativer Wirtschaftsmodelle vor. Hier ging es um regenerative Ökonomie, um Gemeingüter, Gemeinwohlorientierung und das Vorgehen, einen Stuhl im Vorstandsgremium für die Natur freizuhalten. Auch im Workshop „Imagine 2050“ von Stina Kjellgren ging es um die Frage, wie wir eigentlich leben wollen und was wir dafür brauchen. Zu sehen, wie Architekt*innen und Künstler*innen sich Städte, Siedlungen und Lebensweisen der Zukunft vorstellen, inspirierte und setzte die kreativen Geister frei. Anhand verschiedener Kategorien wie Essen, Schlafen oder Bewegen zeichneten und schrieben die Jugendlichen auf, was sie sich für die Zukunft erhoffen.

Lockere Atmosphäre für ernsthafte Themen

Immer wieder gab es Auflockerungselemente und Alternativen zum Finanzthema, das zugegebenermaßen auch etwas trocken werden kann und nicht jedermanns Sache ist. Statt der Europäischen Zentralbank konnten die Jugendlichen beispielsweise das Naturkundemuseum und das Forschungsinstitut Senckenberg besuchen und erfahren, wie es um die Artenvielfalt der Welt steht. In einem lockeren Gespräch mit Prof. Thomas Hickler erfuhren wir, wie es sich anfühlt, als Wissenschaftler in einer politischen Anhörung zu sitzen und kaum etwas sagen zu können, weil fast alle Fragen an Personen aus der Industrie- und Wirtschaftslobby gehen.

Workshops gab es auch beispielsweise dazu, was die Umweltpsychologie uns darüber verrät, wie man über das Klima reden kann, um Menschen mitzunehmen und zu aktivieren. Für junge Engagierte durchaus spannende Infos. Praktisch wurde es in einer Arbeitsgruppe, die eigene Beiträge für Social Media entwarf. In einer anderen ging es um die Entwicklung einer neuen Software-Applikation zur Überwachung von Baumbeständen, die den Teilnehmenden vorgestellt und zur Diskussion gestellt wurde.  Für diejenigen, die Frankfurt noch nicht kannten, boten zwei Teamende aus der Akademie eine Stadtwanderung an, bei der politische Bildungsmethoden mitten im Bankenviertel und an Orten lokaler Protestgeschichte durchgeführt wurden. „Wo ist das WIR in Wirtschaft?“, war die Frage, die die Wanderung begleitete.

Am Ende stand ein abwechslungsreiches Programm, dem auch die jüngeren (16 bis 17-jährigen) Teilnehmenden viel abgewinnen konnten. Und natürlich fehlte es nicht an Spaß. Mit viel Humor, lustigen Geschichten, Quizfragen und Kreativprogramm zu Mocktails und Musik gab es abends ein wichtiges Gegengewicht zu den ernsten Themen des Tagungsprogramms.

Beim Abschied nach vier intensiven Tagen überschütteten die Teilnehmenden einander und das Orga-Team mit positiven Rückmeldungen. Neben der Rückmeldung, dass das Programm viele neue Einsichten, Erkenntnisse und Ideen gebracht hat, ging es um die vielen spannenden Begegnungen, um das Gemeinschaftsgefühl, darum zu spüren, dass man nicht allein ist, sondern von den anderen getragen, wertgeschätzt und ermutigt wird. Aus Akademiesicht war es extra erfreulich, dass eine ganze Handvoll junge Frankfurter*innen mit dabei waren. Wenn ehemalige Teilnehmende wiederkommen, muss das heißen, dass man etwas richtig macht.

Richtig stolz sind wir ansonsten auf den Entwurf eines Manifests, das eine Gruppe während des Youth Summit erarbeitete: Hierfür stimmten junge Menschen über ihre wichtigsten Forderungen an Politik und Wirtschaft ab und formulierten diese aus. Vielleicht klappt es sogar, dass das Manifest rechtzeitig finalisiert wird, um von einer Delegation zu der 28. Weltklimakonferenz nach Dubai mitgenommen zu werden. Wir verfolgen die Berichtserstattung und sind gespannt!

Durch die großartige Fundraising-Aktion des Fördervereins konnten wir für dieses Projekt zusätzliche Mittel einwerben. Mit persönlichen Spenden von insgesamt 2250,-€ konnten Teilnehmende aus aller Welt bei der Finanzierung ihrer Reisekosten unterstützt werden, was für einige eine echte Entlastung darstellte oder es in Einzelfällen überhaupt erst ermöglichte, dass sie vor Ort teilnehmen konnten. Zusammen mit der regulären Förderung dieses außergewöhnlichen Projekts, hat der Förderverein maßgeblich zum Gelingen des Youth Summit beigetragen. Über den Spirit, die jungen Menschen und deren Arbeit hier vor Ort können Sie sich in diesem Video einen schönen Einblick verschaffen: Videoclip "Youth Summit"

UNVERFÜGBARKEIT

ZUM STELLENWERT EINES BEGRIFFS IM POLITISCHEN DENKEN UND GLOBALEN HANDELN

Ziele: Das Ziel der Veranstaltung bestand darin, die Teilnehmenden mit dem Begriff des Unverfügbaren und seinem Stellenwert in der politischen Theorie, der Sozialtheorie und der Theologie vertraut zu machen. Die Teilnehmenden wurden dazu angeregt, über die Wirkungsmacht des Begriffs in Bezug auf gesellschaftliche Verhältnisse und globales Handeln, insbesondere im Hinblick auf Geschlechterverhältnisse, soziale Ungleichheit und Menschenrechte zu reflektieren.

Mitwirkende: Mitgewirkt haben an der Veranstaltung die Theologin Dr. Sarah Rosenhauer, wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Humboldt Universität zu Berlin; Dr. Thomas Seibert, Philosoph und Ethnologe, langjähriger Referent bei der Menschenrechtsorganisation medico international; Dr. Tove Soiland, Dozentin für feministische und politische Theorie, Zürich. Moderiert wurde die Veranstaltung von Dr. Margrit Frölich, Studienleiterin, Evangelische Akademie Frankfurt.

Inhalt und Ablauf: Unverfügbar – so lautete im zweiten Halbjahr 2023 das Halbjahresthema der Evangelischen Akademie Frankfurt. Anknüpfend daran befasste sich diese Veranstaltung mit dem Begriff des Unverfügbaren in der politischen Philosophie und der Entwicklungszusammenarbeit, der feministischen Theorie sowie der Theologie.

„Das kulturelle Antriebsmoment jener Lebensform, die wir Moderne nennen, ist die Vorstellung, der Wunsch und das Begehren, sich die Welt verfügbar zu machen. Lebendigkeit, Berührung und wirkliche Erfahrung aber entstehen aus der Begegnung mit dem Unverfügbaren.“ So formuliert es der Soziologe Hartmut Rosa, und er warnt: Eine Welt, die sich der Mensch vollends verfügbar macht, verstummt.

Diese Betrachtung bildete den Ausgangspunkt der Veranstaltung. Die drei Referent/innen analysierten den Stellenwert des Unverfügbaren in normativ kritischer Perspektive und in Bezug auf menschliches Handeln sowie auf seine gesellschaftlichen und politischen Implikationen. Das Gelingen ist ein entscheidendes Bedürfnis des handelnden Subjekts. Was aber, wenn sich das Gelingen menschlicher Vollzüge unserer Selbstwirksamkeit entzieht. Diese Frage stellte die Theologin Dr. Sarah Rosenhauer, die sich mit dem Begriff des Unverfügbaren in subjekttheoretischer und gnadentheologischer Perspektive befasste. Sie sprach davon, dass das Unverfügbare eine Radikalisierung moderner Freiheit verlange, dass Weltbegegnung (in Anlehnung an Axel Honneths Sozialtheorie) zugleich eine Anerkennung des Anderen darstelle, sowohl in individueller, struktureller und gesellschaftlicher Hinsicht. Rosenhauer reflektierte darüber, wie der Mensch angesichts des Unverfügbaren, das heißt angesichts dessen, was sich seinem Willen entzieht, dennoch Sinnhaftigkeit erfahren kann. Und wie es um die Verantwortlichkeit steht, wenn Gelingen sich dem eigenen Willen und Können entzieht. Im Beitrag von Dr. Tove Soiland, Historikerin und an psychoanalytischer Theorie geschulte feministische Philosophin, stand zunächst das von Lacan hergeleitete Konzept der Negativität im Zentrum. Daran anknüpfend hob Soiland das Thema das Verzichts hervor, das sie dem gesellschaftlichen Optimierungsdruck gegenüberstellte. Sie bezog sich in ihren Ausführungen auch auf praxisbezogene Beobachtungen aus ihrer langjährigen Gewerkschaftsarbeit und den daraus resultierenden Bildungsangeboten für Frauen zur feministischen Ökonomie und politischen Theorie. Dr. Thomas Seibert, Philosoph und Ethnologe, sowie langjähriger Referent bei der Menschenrechtsorganisation medico international, wo er bis Oktober 2023 für Menschenrechte und Öffentlichkeitsarbeit in Südasien, mit Länderschwerpunkten in Pakistan und Sri Lanka zuständig war, stellte ökologische Themen in den Mittelpunkt seiner ebenfalls philosophisch unterlegten Betrachtungen. Die Beschreibung der Klimakatastrophe und ihrer Auswirkungen auf die Lebenssituation in Pakistan, Senegal und Haiti nahm in seinen Betrachtungen breiten Raum ein. Er berichtete von seinen Erfahrungen und Gesprächen mit Menschen in Pakistan, nachdem das Land im Sommer 2022 von einer Flutkatastrophe heimgesucht worden war. Das Rettende, worauf Europäer/innen nach wie vor hoffen dürfen (mit Blick auf Hölderlins Patmos-Gedicht, „Wo aber Gefahr ist, wächst das Rettende auch“), gibt es laut Dr. Seibert für 30 Millionen Menschen in Pakistan nicht mehr. Er knüpfte an seine Überlegungen die Forderung der kritischen Überprüfung des ökonomischen und politischen Systems und seiner ungerechten Schieflage für arme Länder des globalen Südens.

Alle drei Referent/innen stellten ihre Betrachtungen zunächst in drei Impulsvorträgen vor. Die Thesen wurden anschließend auf dem Podium und sodann mit den Teilnehmenden diskutiert. Die Diskussion mit den Teilnehmenden zeichnete sich durch eine außergewöhnliche Intensität und kluge Fragen sowie differenzierte Kommentare aus, die die unterschiedlichen Bezüge der Teilnehmenden zum Thema der Veranstaltung erkennen ließen und inspirierend auf die Mitwirkenden wirkten. Inzwischen (Stichtag: 11.12.2023) haben sich bereits 648 Personen die auf dem youTube-Kanal der Evangelischen Akademie veröffentlichte Videoaufzeichnung der Veranstaltung angesehen. Der Offene Kanal der Hessischen Landesanstalt für privaten Rundfunk strahlte am 17. November die Aufzeichnung aus, die seither auch über die Mediathek Hessen einer großen Öffentlichkeit (bisher 530 Abrufe) nachhaltig zugänglich gemacht wird. 

7. Radionetzwerktag

Netzwerktagung mit Preisverleihung

Der 7. RadioNetzwerkTag startete mit einem Interview mit Dr. Wolfgang Kreißig, Präsident der Landesanstalt für Kommunikation Baden-Württemberg (LFK). Anschließend führte Sandra Müller, Leiterin der Multimedia-Redaktion im SWR Studio Tübingen in die Veranstaltung mit ihrer Keynote zum Thema: KI und Radio – Aufbruch ins Unbekannte? Die Teilnehmer/innen wurden mithilfe des Abstimmungstools Mentimeter dazu aufgefordert, ihre Ansichten und Nutzung von KI in der journalistischen Arbeit zu teilen.

Im Anschluss daran startete die Workshop-Phase. Ein Workshop, geleitet von Sigrun Rottmann vom Institut für Journalistik an der TU Dortmund, vertiefte sich in das Thema "Konfliktsensitive Berichterstattung im Radio". Hier wurden Erfahrungen aus verschiedenen Redaktionen ausgetauscht, und Diskussionen über Emotionalisierung, Distanz und Sensibilität im Journalismus fanden statt.

Timo Fratz, Chefredakteur von Radio Bielefeld, führte einen Workshop durch, der sich mit der Anwendung von künstlicher Intelligenz im Journalismus beschäftigte. Gemeinsam mit den Teilnehmenden wurde KI auf den Prüfstand gestellt, indem sie ihre Fähigkeiten, insbesondere die von Chatbots wie ChatGPT, testeten. Das Fazit war, dass KI noch fehleranfällig ist, aber als unterstützendes Tool im Journalismus durchaus nützlich sein kann.

Die Vielfalt der Workshops erstreckte sich von strategischer Musikplanung über Talentsuche, Fehlerkultur im Radio, bis hin zu inklusiver Radiosprache, sensibilisiert durch Kirsten Czerner-Nicholas.

Eine besondere Anerkennung erhielten in diesem Jahr 38 Radiosender, die mit dem RADIOSIEGEL ausgezeichnet wurden. Dieses Siegel steht für eine qualitativ hochwertige und multimedial gestaltete Ausbildung, die jungen Talenten einen erfolgreichen Start ins Berufsleben ermöglicht.

Der 8. RadioNetzwerkTag wird am 5. Dezember 2024 in Frankfurt stattfinden.