Freihandel zwischen Ethik und handelspolitischen Interessen
Wirtschaftspolitisches Forum
Die Veranstaltung hatte das Ziel, gemeinsam mit Experten aus Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Zivilgesellschaft mit entwicklungspolitischem Schwerpunkt darüber zu reflektieren, wie ein tragfähiges Handelssystem aussehen kann, das der ökonomischen Zersplitterung der Welt entgegenwirkt. Im Zentrum stand die Frage, wie Wirtschafts- und Handelspolitik in einer globalisierten Ökonomie gestaltet werden kann und welchen Spielregeln der Freihandel folgen sollte, um ungleiche Voraussetzungen der Handelspartner ausgleichen zu können. Galt Freihandel unlängst noch uneingeschränkt als das Credo, von dem sich insbesondere die westlichen Industrienationen leiten ließen und auf dem sich ihr Wohlstand begründete, so hat neuerdings die Diskussion um den Freihandel eine andere Richtung eingeschlagen, seitdem die amerikanische Regierung oder auch einige Politiker innerhalb Europas mehr Protektionismus zugunsten nationaler Handelsinteressen fordern.
Die Veranstaltung zielte darauf, unterschiedliche Perspektiven zu Wort kommen zu lassen und miteinander in Dialog zu bringen. Als Referenten wirkten mit: PD Dr. Ulrich Thielemann, Wirtschaftswissenschaftler, Begründer und Direktor des wirtschaftsethischen Forschungszentrums MeM – Denkfabrik, Berlin; Professor Dr. Dr. Andreas Barner, der ehemalige, langjährige Vorstandsvorsitzende der Unternehmensleitung von Boehringer, Ingelheim, eines führenden Pharmaunternehmens; Jakob von Weizsäcker (SPD) als Vertreter der Politik, der als Abgeordneter des Europäischen Parlaments insbesondere die europäische Perspektive in die Diskussion einbrachte; Johannes Grün, Referatsleitung des Bereichs Wirtschaft und Umwelt bei Brot für die Welt – Evangelischer Entwicklungsdienst, Berlin, sowie die Moderatorin Dr. Brigitte Bertelmann, Dipl.-Ökonomin und langjährige Referentin im Zentrum Gesellschaftliche Verantwortung der EKHN.
Den einführenden Impulsvortrag hielt der Wirtschaftsethiker Ulrich Thielemann. Mit seinen kritischen Positionen, der die Grundfrage stellte, ob es denn prinzipiell immer mehr Freihandel geben müsse, auch wenn dies, so seine These, auf immer mehr Deregulierung und wachsende Leistungsungleichheitsbilanzen sowie eine sich verschärfende Einkommenspolarisierung hinausliefe, bot der Referent einen markanten Einstieg in die Thematik, dessen Thesen im weiteren Ablauf der Veranstaltung differenziert und kontrovers diskutiert wurden. Sowohl Professor Barner als auch der SPD- und Europa-Politiker Jakob von Weizsäcker rückten die Vorzüge des globalen Welthandels in den Vordergrund. Johannes von Grün machte in seinem Plädoyer entwicklungspolitische Aspekte geltend und argumentierte, dass Handelsabkommen stärker auf den Ausgleich von Ungleichheiten zielen und Nachhaltigkeitsaspekte berücksichtigen müssten. Jakob von Weizsäcker votierte für die Notwendigkeit einer sozialen Marktwirtschaft auf globaler Stufe. Dieser Position konnten sich alle Mitwirkenden auf dem Podium anschließen.
Die Veranstaltung setzte sich fundiert mit der Thematik Freihandel und den Strategien für eine gerechte Handelspolitik auseinander. Sie zeichnete sich durch hohe Qualität und differenzierte Betrachtungen seitens der Referenten und der Moderation aus, die durch fachkundige Wortbeiträge aus dem Publikum ergänzt wurden. Vielfach wurde in der Diskussion auch auf das aktuelle Heft der Bundeszentrale für politische Bildung zum Thema „Freihandel“ Bezug genommen, das zwei Wochen vor der Veranstaltung erschienen war. Klar erkennbar, wie aktuell die Thematik weiterhin ist. Virulent bleibt die Frage, ob Freihandel und Globalisierung handelspolitische Konzepte sind, die angesichts protektionistischer Tendenzen nunmehr der Vergangenheit angehören, oder welche Institutionen und Akteure zukunftsweisende Spielregeln eines gerechten und tragfähigen Handelssystems bestimmen werden.
"Ernesto, sprach die Frau Mama..."
Die 68er zwischen Geschichte und Tradition
Die Tagung bestand aus unterschiedlichen Gesprächsformaten: Die gemeinsame Ausgangslage schaffte ein Vortrag von Prof. Dr. Meike Baader, die den Blick auf die Vielfältigkeit der Motive und Ideen „der 68er“ warf und am Beispiel der Kinderladen-Bewegung verdeutlichte, welche gesellschaftlichen Themen damals im Fokus standen. Dabei schaffte sie Querverweise auf parallel stattfindende Prozesse und Debatten zu dieser Zeit, die teilweise noch heute sichtbar sind. (Feminismus, Vereinbarkeit von Familie und Beruf, Gender-Fragen, Rollenverhältnisse in Familien etc.).
Am Abend des 9.03. schloss daran eine Lesung und ein Gespräch mit Martin Miller an, der als Kind von Alice Miller nochmals einen sehr emotionsgeladenen Blick auf seine Familiengeschichte warf, die in besonderer Weise die Ambivalenzen der Zeit spürbar und sichtbar machte. Die Eltern, die zum Teil Nazi-Vergangenheiten hatten, die sich dann aber in der Entwicklung einer neuen Erziehung einbringen.
Der Samstag begann mit einer Podiumsdiskussion mit Frau Prof. Dr. Baader (wissenschaftliche Perspektive), Robert Wolff (Nachwuchswissenschaftler und „Kindergeneration“) sowie Dr. Diether Dehm (Zeitzeuge). Hier wurde nochmals gezielt auf die Ambivalenzen der Zeit und der 68er-Generation in ihrer weiteren Entwicklung eingegangen. Welches Verhältnis haben damalige Aktivisten zu Themen wie Gewalt, Sexualität, Erziehung, staatlicher Macht und schließlich auch zu den heiklen Fragen zur Haltung gegenüber Israel. Hier wurde zum Teil sehr kontrovers argumentiert und auch das Publikum brachte sich mit ihrer Sichtweise in die Diskussion ein.
Zum Abschluss der Tagung wurde das Thema Bildung nochmals in den Fokus gestellt. In einem Streitgespräch diskutierten Vertreterinnen einer Freien Schule, die aus der 68er-Bewegung entstanden war, einer ehemaligen Schulleiterin an einer staatlichen Schule sowie Prof. Dr. Bernhard Dressler über die Entwicklungen im Bildungssystem in den letzten 50 Jahren. Auch hier beteiligten sich viele Gäste im Publikum – insbesondere Pädagoginnen und Pädagogen.
Zwischen den einzelnen Programmpunkten war jeweils viel Zeit eingeplant für den intergenerationellen Dialog und den persönlichen Austausch über die Themen der Tagung.
Die Zukunft der transatlantischen Beziehungen
Gemeinsame Interessen, Werte und Herausforderungen
Donald Trump hat mit seiner Politik das transatlantische Verhältnis gründlich verändert. Das aktuell in Deutschland wahrzunehmende starke Interesse an der Frage, wie sich die transatlantischen Beziehungen weiterentwickeln werden, bildeten den Ausgangspunkt der Veranstaltung. Ziel der Veranstaltung war es, gemeinsam mit namhaften USA-Experten darüber zu reflektieren, wie der derzeitigen Entwicklung entgegenwirkt werden kann: die von vielen auf beiden Seiten des Atlantiks empfundene Abkoppelung der USA von der von den Vereinigten Staaten nach 1945 aufgebauten Nachkriegsordnung. Das Konzept der Veranstaltung bestand darin, je zwei fachlich ausgewiesene amerikanische Experten mit zwei Experten aus Deutschland in einen Dialog zu bringen. Im Zentrum stand die Frage, was politisch und ökonomisch geschehen muss, damit die transatlantischen Beziehungen basierend auf gemeinsamen Werten nachhaltig weiterentwickelt werden können und nicht in ihren Grundfesten beschädigt werden. Dabei ging es auch um die Frage, wie Politik und Zivilgesellschaft in Deutschland, Europa und den USA Tendenzen entgegenwirken können, die die freiheitliche Demokratie des Westens in Frage stellen. Diskutiert wurden insbesondere auch folgende Aspekte: die Signalwirkung von Trumps Steuerreform und ihre Folgen; die Außenpolitik der amerikanischen Regierung, insbesondere das Verhältnis zu Russland, die Ergebnisse der Münchener Sicherheitskonferenz, die Auswirkungen der amerikanischen Außenpolitik auf NATO und UN, mögliche transatlantische Handelskonflikte angesichts der von amerikanischer Seite angekündigten Strafzölle auf Stahl- und Aluminiumimporte sowie weitere Kernpunkte von Trumps Handels- und Sicherheitspolitik und deren Auswirkungen auf das transatlantische Verhältnis.
Die Podiumsdiskussion zeichnete sich dank der hochkarätigen Referenten durch tiefgründige und differenzierte Analysen aus und beleuchtete alle oben genannten Kernfragen. Auch war die Resonanz auf die Veranstaltung außerordentlich groß, und die Teilnehmenden beteiligten sich lebhaft und mit fundierten Beiträgen an der Diskussion. Aufgrund der Kooperation einschlägiger regionaler und überregionaler Kooperationspartner – das US-Generalkonsulat Frankfurt, die Junge Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik, die Hessische Landeszentrale für politische Bildung und die Frankfurter Rundschau als Medienpartner – gelang es, eine breit gefächerte Zielgruppe anzusprechen. Mitwirkende der Veranstaltung waren: Peter S. Rashish, Wirtschaftsberater, Senior Fellow und Leiter des „Geoeconomics Program“ am American Institute for Contemporary German Studies (der Johns Hopkins University) in Washington, D.C., der Amerikanistikprofessor Crister S. Garrett, Lehrstuhlinhaber an der Universität Leipzig; der Politikwissenschaftler Dr. Josef Braml von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik in Berlin und die WDR-Fernseh-Journalistin und ehemalige Washington-Korrespondentin Ina Ruck. Kompetent moderiert wurde das Podium von Andreas Schwarzkopf von der Frankfurter Rundschau.
„Rache“ in Oper, Literatur und Film
Die Tagung analysierte das Phänomen der „Rache“ aus interdisziplinärer Sicht. Ausgangspunkt war die Beobachtung, dass Rache nicht nur im antiken Drama beschrieben, sondern bis heute auch Thema im Gerichtssaal ist: reale Straftaten, bis hin zum Mord, werden aus Rache („niedere Beweggründe“) begangen. Erinnern wir uns nur an den Fall Marianne Bachmeier, die den Mörder ihrer Tochter im Gerichtssaal erschießt, oder an sogenannte „Ehrenmorde“. Ob in zwischenmenschlichen Beziehungen, der Arbeitswelt oder in der Politik: bis heute lebt die Rache als eine Antwort des Menschen auf erlittene Ungerechtigkeit.
Zu Wort kamen bei der Tagung u.a. Juristen, Philosophen, Mediziner, Ethiker, Literatur-, Film- und Kulturwissenschaftler. Jedem Referenten standen 90 Minuten inklusive Diskussionszeit zur Verfügung, was eine intensive Auseinandersetzung mit der vorgetragen Thematik ermöglichte. Besonders zu erwähnen in Hinblick auf die Zusammensetzung der Teilnehmer ist, dass die Tagung in Kooperation mit der Professur für Strafrecht und Strafprozessrecht der Justus-Liebig-Universtät Gießen stattfand und neben Herrn Prof. Dr. jur. Bernhard Kretschmer auch Mitarbeiter seines Lehrstuhls und Studierende der Rechtswissenschaft teilnahmen.
Freitag
Nach einer Einführung zum Phänomen der Rache durch Herrn Prof. Dr. phil. Kurt Bayertz vom Philosophischen Seminar der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster, folgte der erste Beitrag durch den Literatur- und Filmwissenschaftler Prof. Dr. Matthias Hurst vom Bard College in Berlin. Prof. Hurst ordnete den Film Blinde Wut (Originaltitel „Fury“, USA 1936) in das Gesamtwerk des Regisseurs Fritz Lang ein, der 1934 aus Deutschland in die USA emigrierte. Blinde Wut war Langs erster Spielfilm in den USA und schildert die beklemmende Wandlung des unbescholtenen Bürgers Joe Wilson, der zu Unrecht der Entführung eines Mädchens bezichtigt wird, in einen zornigen Rächer. Ein aufgestachelter Mob (bis dato „unbescholtene Bürger“ allen Alters, Geschlecht und sozialer Stellung) war zur Lynchjustiz bereit, steckte das Gefängnis in Brand, in dem der Verdächtige Joe Wilson den Tod zu finden scheint. Durch eine glückliche Fügung konnte er jedoch unerkannt entkommen und will sich nun in gnadenloser Verbitterung an seinen Peinigern rächen.
Der Film lässt Grundelemente erkennen, die mit der Rache häufig verbunden sind:
- Rache ist eine Antwort des Menschen auf erlittenes Unrecht.
- Die Zivilisation mit ihrer Gerichtsbarkeit hat Verfahren etabliert, die den Zwang zur Rache vom Opfer loslöst und der Rechtsprechung zuweist.
- Ziel der Rechtsprechung ist nicht „blinde Wut“ (Rache), sondern Wiederherstellung der Gerechtigkeit. Es soll ein Ausgleich geschaffen werden.
- Maßgeblich für das westliche Verständnis ist das alttestamentarische „Auge und Auge, Zahn um Zahn“, das nicht auf Vergeltung aus ist, sondern auf eine Unterbrechung der Eskalation der Gewalt. Die Rache soll eben nicht zu einer größeren Verletzung führen als die erlittene.
- Bevor die Rechtsprechung etabliert war, müssen andere „Gesetze“ dafür sorgen, dass die Gerechtigkeit wieder hergestellt wird (das ist der klassische Hintergrund des Western-Genre, denn dies spielt in der Welt der frontier, dem neu eroberten Westen, in dem die Zivilisation mit Gesetzbuch, Richtern, Gesetzeshüter, Gefängnis u.ä. weder vollständig etabliert noch von den Bürger/innen vollständig akzeptiert ist).
- Nachdem die Rechtsprechung in der Gesellschaft etabliert und allgemein akzeptiert ist, muss (und darf) der Einzelne seine Rache nicht mehr selbst ausführen. Wenn „das System“ jedoch versagt, der Täter zwar überführt, aber bspw. durch Verfahrensfehler freigesprochen werden muss, bleibt das Bedürfnis nach Rache und Vergeltung unbefriedigt. Für die Literatur und den Film ein „klassischer“ Ausgangspunkt, der den friedfertigen Einzelnen zum Rächer werden lässt. Fritz Langs Film „Blinde Wut“ beschreibt diese Situation: Joe Wilson ist zutiefst enttäuscht:
- „Das Gesetz weiß nicht, dass viele Dinge, die mir wichtig waren – alberne Dinge, wie der Glaube an Gerechtigkeit, die Vorstellung, dass alle Menschen zivilisiert sind, und das Gefühl des Stolzes auf mein Land, das anders sei als all die anderen – das Gesetz weiß nicht, dass diese Dinge in jener Nacht in mir verbrannten.“
Samstag
Am Samstag Vormittag widmete sich Prof. Dr. phil. Horst-Jürgen Gerigk von der Universität Heidelberg, der Rache des „Grafen von Monte Christo“. Gerigk verwies darauf, das Peter Sloterdijk in seinem Buch „Zorn und Zeit“ (Frankfurt/M., 2006) dem Trieb nach Rache nachgeht. Für Sloterdijk hat Alexandre Dumas mit der Gestalt des Grafen von Monte Christo eine moderne Ilias geschaffen, einen Helden, der von Neidern und Karrieristen denunziert wird, vierzehn Jahre unschuldig im Gefängnis sitzt, um nach seiner Flucht ausschließlich für die Erfüllung seiner Rachepläne zu leben.
„Titel und Handlungsverlauf des Romans ließen keinen Zweifel daran, daß Dumas die Geschichte eines Messias erzählen wollte, der wiederkehrte, um Rache zu üben“ (Zorn und Zeit, S. 275).
Auch hier ist es „das gesellschaftliche System“, das korrupt ist. Der zu Unrecht Verurteilte versucht sich mit legalen Mitteln Recht zu verschaffen, doch er findet kein Gehör. Fortan lebt er nur für die Rache.
Wie in Blinde Wut verändert dieser Drang nach Rache das Wesen und den Charakter des Protagonisten Edmond Dantès, der nach seiner Flucht den märchenhaften Schatz seines früheren Mitgefangenen findet und zum geheimnisumwitterten Grafen von Monte Christo wird.
Wie sehr die Rachegedanken das Wesen der Menschen geradezu vergiftet, hat kaum jemand eindrücklicher dargestellt als William Shakespeare. Dr. phil. Marga Munkelt vom Englisches Seminar der Wilhelms-Universität Münster und ausgewiesene Shakespeare-Expertin, analysierte verschiedene Rachemotive, aber auch Erkenntnisse etwa bei Macbeth, dass die Folgen seiner schrecklichen Mördertaten auf ihn selbst zurückfallen werden („Blood will have blood“)
Der Samstag Nachmittag stand ganz im Zeichen der Rachemotive in der Oper. Auf den ersten Blick scheint es, dass das Recht stets versucht habe, Rache einzudämmen. So ist das alttestamentarische „Auge um Auge, Zahn um Zahn“ gerade kein (!) Aufruf zur Rache (wie vielfach mißverstanden), sondern es geht hierbei um die Eindämmung ausufernder Rache: es soll „nur“ das gleiche Maß an Vergeltung zur Anwendung kommen wie in der Tat und nicht mehr! Nun hat kürzlich Philipp Ruch in einer bemerkenswerten Studie gezeigt (Ehre und Rache, Frankfurt 2017), dass das antike Racherecht nicht nur ein Zuviel an Rache ahndete und die überschäumenden Affekte zügeln wollte, sondern auch ein Zuwenig! So gab es Gesetze, die bei einem Ehebruch verlangten, dass nicht nur den Ehebrecher, sondern auch die Frau – selbst wenn sie vergewaltigt wurde – umgebracht werden musste. Das heißt: das antike Recht genehmigte nicht nur eine gewalttätige Rache – es verlangt sie sogar, es „presste sie ab“. Das führt zu einer steilen These: Die Geschichte des Rechts kann nicht einfach nur als Geschichte der Kultivierung und Domestizierung physischer Gewalt erzählt werden, sondern im Übergang von homerischer zu archaischer Zeit wurde die Rachegewalt erst durch das Recht hervorgerufen! In Aischylos’ Orestie bzw. Orest in der Oper von Richard Strauss’ Elektra wird dies deutlich: Auch wenn der Sohn seinen ermordeten Vater nicht rächen will: das Recht verlangte die Rache. Ob die Rache – wie Ruch darlegt - gerade keine (!) anthropologische Größe ist, kein unentrinnbarer menschlicher Affekt, sondern ein Rechtskonstrukt, wurde bei der Tagung diskutiert.
Anhand von zwei Beispielen wurde die Spannbreite der musikalisch vermittelten Stimmung und dramaturgischen Inszenierung in der Oper deutlich: Prof. Dr. phil. Niko Strobach vom Philosophisches Seminar der Wilhelms-Universität Münster, ging der Rache in Richard Strauss’ Elektra nach, Prof. Dr. phil. Kurt Bayertz der Rache der Frauen in Mozarts Don Giovanni und setzte es in Beziehung zur aktuellen #MeToo-Debatte. Denn im Gegensatz zum häufigen Mißverständnis handelt es sich bei Mozarts Don Giovanni keineswegs um einen strahlenden Frauenhelden, denn er ist kein Sympathieträger. Aber er beeindruckt und entwaffnet alle durch seine Unverfrorenheit, mit der er sich alles nimmt, was er kriegen kann. Als er den Vater von Donna Anna tötet, schwört diese Rache, doch ihre Rache muss ebenso lange auf sich warten, wie die anderer Frauen und Männer, da alle scheinbar so fasziniert sind von Don Giovanni, dass sie ihre eigenen Rachepläne nicht verwirklichen können. Wenn diese Frauen und Männer unfähig sind, ihre Rache umzusetzen, muss in der Oper ein Toter zur Hilfe kommen. Er fordert Don Giovanni auf zu bereuen, was dieser verweigert. Daraufhin öffnet sich die Erde und verschlingt ihn. Umstritten ist die Deutung: Ist es die Hölle, die sich auftut und den Sünder verschlingt? Ist es ein moralisches Urteil? Eine höhere Ordnung?
Zwei Aspekte sollen aus der Debatte festgehalten werden: In Elektra werden die Folgen deutlich, sich der Rache verschrieben zu haben. Elektra lässt sich auch äußerlich gehen, nichts ist ihr mehr wichtig, nur der Gedanke an Rache lässt sie leben. Zeit ist dabei kein Faktor, der die Rachegedanken besänftigt. Und wenn man/frau selbst zur Ausübung der Rache nicht fähig ist oder die Möglichkeiten fehlen, muss sich Anderer bedient werden. Dies wird auch in Mozarts Don Giovanni deutlich. Die Vorsätze sind gefasst, die Rache beschlossen, aber Don Giovanni ist eine derart schillernde Figur von entwaffnender Unverfrorenheit, dass die Rächer immer wieder Abstand nehmen von ihren Vorhaben. Der Zuschauer will jedoch beim Anblick dieses Weltentheaters (und die literarische Grundlage von Don Giovanni ist ein Volkstheaterstück) die Wiederherstellung des Gleichgewichts erleben. Gerechtigkeit soll und muss hergestellt werden. Ob durch die Protagonisten auf Erden, den Einbruch des Göttlichen oder im Jenseits.
Dass Rache einen langen Atem hat, wurde am Samstag Abend durch den Film In ihren Augen erneut deutlich. Der argentinische Spielfilm aus dem Jahr 2009 gewann den Oscar als bester fremdsprachiger Film und war in Argentinien die meistgesehene einheimische Produktion der letzen 35 Jahre. Der Film verknüpft geschickt eine unglückliche Liebesgeschichte mit einem Kriminalfall und einer gesellschaftspolitischen Tragödie: Der pensioniert Gerichtsbeamte Esposito beschließt einen Roman zu schreiben über einen Fall, der lange zurückliegt und ihn nicht loslässt: die Vergewaltigung und Ermordung der jungen Liliana. Es gelang zwar, den Täter zu überführen und zu verurteilen, doch dieser wurde nach kurzer Zeit von der argentinischen Militärdiktatur als Spitzel angeworben und kam frei. Alle Versuche, den Täter seiner gerechten Strafe zuzuführen, blieben erfolglos.
25 Jahre später macht Esposito den Witwer von Liliana ausfindig und muss feststellen, dass dieser eigenmächtig grausame Rache an dem Täter verübt hat.
Im Spielfilm In ihren Augen ist es der Staat, bzw. die Militärdiktatur, die ihre Bürger nicht schützt und Willkür walten lässt. Von einer Justiz in einer Militärdiktatur kann der Bürger keine Gerechtigkeit erwarten. Der Film lässt die Hauptfigur, den Gerichtsbeamten Esposito, ebenso verstört zurück wie den Zuschauer, nachdem dieser erkennen muss, welch grausame Rache der Witwer verübt hat. – Wie aber, so die übergeordnete Frage, lässt sich Gerechtigkeit herstellen, nachdem Bürgerinnen und Bürger in einem Unrechtsstaat Ungerechtigkeit erlitten haben? Die politischen Beispiele im 20. Jahrhundert sind zahlreich (etwa Argentinien, Griechenland, Spanien), die Wege der Aufarbeitung höchst verschieden (siehe Südafrika).
Sonntag
Dass es auch innerhalb eines demokratischen Rechtssystems zum Scheitern kommt und sich Rache Bahn bricht, zeigten am Sonntag Vormittag Prof. Dr. iur. Bernhard Kretschmer von der Professur für Strafrecht und Strafprozessrecht der Justus-Liebig-Universität Gießen und Dr. Kurt Schmidt. Zu Beginn des für 11 Oscars nominierten Meisterwerks von Francis Ford Coppola Der Pate (USA 1972) bittet ein Bestattungsunternehmer den „Paten“ seiner Tochter um Rache an den drei Halbstarken, die versucht hatten, seine Tochter zu vergewaltigen und nachdem ihnen dies nicht gelungen war, sie derart mißhandelt hatten, dass sie ihr Leben lang entstellt bleiben wird. Auch hier war zuerst alles „lege artis“ verlaufen: Die Polizei war eingeschaltet worden, eine Strafanzeige gestellt, die Täter verhaftet und vor Gericht gestellt. Dort erhalten sie eine Bewährungsstrafe und verlassen den Gerichtssaal mit höhnischem Grinsen. Der Vater, italienischer Einwanderer, hatte bis dato an Amerika und seine Werte geglaubt, ist nun tief enttäuscht und bittet den Paten um die Wiederherstellung der Gerechtigkeit.
Hier ist es also nicht das Opfer selbst, das Rache übt, sondern der Vater wendet sich an eine andere Institution, die parallel zum Staat existiert – und sogar mächtiger als der Staat ist, da sie viele Vertreter des Staates bestochen hat, die Mafia. Ihre Vertreter kennen die politischen Spielregeln und halten sich im Hintergrund.
Dieses Wissen um die „Spielregeln“ macht sich auch ein besonderer Typus des Rächers zunutze, der in dem Roman von John MacDonald erscheint: Max Cady. Zwei Verfilmungen aus den Jahren 1962 (mit Robert Mitchum) und 1991 (mit Robert de Niro) setzen die Erzählung um: ein sadistischer Straftäter wird verurteilt und will sich nach seiner Entlassung an seinem Pflichtverteidiger rächen. (In der Verfilmung von 1991 hat dieser sogar entlastende Beweise unterschlagen). Für seine Rache studiert Max Cady im Gefängnis juristische Fachliteratur, um den Anwalt (und das Rechtssystem) mit den eigenen Mittel zu schlagen. Die Botschaft ist düster: Nicht nur das Rechtssystem kann im Einzelfall versagen, dass Rechtssystem kann sogar dazu benutzt werden, grausame Straftaten (Rache) zu üben, ohne dafür belangt werden zu können. Dies führt zu einer unaufhaltsamen Spirale der Gewalt.
Kann nun die göttliche Ordnung diese Spirale der Gewalt beenden? Bereits Sloterdijk hatte in dem oben zitierten Buch „Zorn und Zeit“ die Rede vom Zorn Gottes aufgegriffen. In den biblischen Geschichten rächt Gott nicht nur das Vergehen der Menschen, sondern am Ende aller Tage steht das Jüngste Gericht bevor und die Rache des Weltenrichters. Prof. em. Dr. phil. Hermann J. Real vom Englischen Seminar der Wilhelms-Universität Münster ging am Ende der Tagung den eschatologischen Gedanken Jonathan Swifts und seiner Zeitgenossen nach. Wird die Sehnsucht des Menschen, dass die erlittene Ungerechtigkeit wieder ins Gleichgewicht gebracht werden möge, auf Erden nicht erfüllt, verlagert sich diese Sehnsucht ins Jenseits. Die Vorstellungen des Jüngsten Gerichts können dabei von ungeheuerer Stärke sein. Sie sprengen die menschliche Vorstellungskraft, wenn sie etwa in einer ganz anderen Richtung verlaufen und statt Zorn und Rache von Allversöhnung gesprochen wird. Hier kollabieren die Pole von Himmel und Hölle. Interessanterweise gelingen in Film, Literatur und Oper die Bilder der Versöhnung kaum. Sie wirken „aufgesetzt“ oder werden vom Filmstudio – wie bei Fritz Lang gegen die Intension des Regisseurs - „angeordnet“.
Das versöhnende Ende in Blinde Wut und im Grafen von Monte Christo wird durch die Liebe der Verlobten eingeleitet. Damit endet zugleich der Erzählstrang. Zurecht, wie Sloterdijk betont, denn von dem Menschen, der sich von der Rache abwendet und seine Rachepläne nicht weiter verfolgt, will das Publikum nichts mehr wissen. „Wer den Fahneneid auf den Geist der Rache bricht, hat den Anspruch auf unsere Aufmerksamkeit verloren.“ (Zorn und Zeit, S. 281) Rache erscheint als Bedürfnis des Lesers, es funktioniert als Motiv in der Unterhaltungsindustrie. Sie bricht sich vor allem dann Bahn (in der Fiktion und im wahren Leben), wenn die Institutionen und die Strukturen des gesellschaftlichen (Rechts)Systems darin versagen, eine ausgleichende Gerechtigkeit zu schaffen.
„Wie Hoffnung wachsen kann“ – ein Gespräch mit Sumaya Farhat-Naser
Zur Veranstaltung mit der christlichen Palästinenserin Dr. Sumaya Farhat-Naser und Pröpstin i. R. Gabriele Scherle kamen etwa 120 Personen, der Panoramasaal war damit sehr gut gefüllt. Frau Farhat-Naser berichtete über die derzeit besonders angespannte Situation in Palästina und die von ihr initiierten und begleiteten Friedensprojekte. Frau Scherle, die in den 80er Jahren stellvertretende Vorsitzende von Aktion Sühnezeichen Friedensdienste war, brachte dabei die israelische Perspektive ins Spiel. Einig waren die Podiumsteilnehmerinnen sich darin, dass Empathie für die jeweils andere Seite unerlässliche Voraussetzung des Friedensprozesses im Nahen Osten sei, dass die Perspektive der Opfer auf beiden Seiten vorrangig zu berücksichtigen sei und dass der Weg zum Frieden nur über konsequente Gewaltfreiheit führen könne. Nach einer Einführung von Studienleiter Dr. Eberhard Pausch, der die aktuelle Situation im Nahen Osten im Anschluss an Herfried Münkler und Frauke Adrians in Beziehung zum Dreißigjährigen Krieg (1618-1648) setzte, moderierte Dr. Thomas Wagner von der Katholischen Akademie Rabanus Maurus (Haus am Dom) das Podium und die Plenumsdiskussion. Die Friedenspfarrerin der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau (EKHN), Sabine Müller-Langsdorf vom Zentrum Ökumene, sprach einen Abschlusssegen. Auch das Evangelische Studienwerk (Villigst e.V.) war mit einem Grußwort auf der Tagung präsent. Die Pfarrerin des Studienwerks, Dr. Kerstin Söderblom, erinnerte an das Engagement des Studienwerks für die Versöhnung zwischen Israel und Palästina und wies darauf hin, dass sowohl Frau Dr. Farhat-Naser als auch Frau Scherle als auch Dr. Pausch Villigster StipendiatInnen gewesen seien. Das Engagement für den Friedensprozess im Nahen Osten, das durch die weltpolitischen Entwicklungen (unter anderem die US-Präsidentschaft von Donald Trump) nicht einfacher geworden sei, bleibe auch in Zukunft ein zentrales Thema für die evangelische und die katholische Kirche, ihre Akademien und das Evangelische Studienwerk.
Das 11. Tehillim-Psalmen-Konzert im Juni 2018
Das 11. Tehillim-Psalmen-Konzert des Interreligiösen Chors Frankfurt widmete sich Psalm 19, der zu den sog. „Schöpfungspsalmen“ gezählt wird. Das heißt, in ihm wird Gott als Schöpfer der Welt und die Welt als Gottes großartige Schöpfung besungen, die durch ihre Schönheit vom Schöpfer kündet und ihn ehrt. Anders als in den polytheistischen antiken Religionen wird die Sonne in Psalm 19 nicht selbst als eine Gottheit verstanden. (Und selbst das außergewöhnliche, monotheistisch anmutende Gottesverständnis des ägyptischen „Ketzerkönigs“ Echnaton denkt ja die Sonne als Gottheit, wenn auch als die einzige, konkurrenzlose göttliche Wesenheit im Universum.)
Eine Gottheit ist die Sonne für den Dichter (oder war es eine Dichterin?) des 19. Psalms eben nicht, sondern „bloß“ ein Geschöpf. Jedoch auch kein niederes Geschöpf, keine bloße „Lampe“, wie im 1. Buch Mose (Kapitel 1, Verse 14-19), sondern ein herrliches Geschöpf, das in wunderbaren, recht unterschiedlichen Bildern geehrt wird: Sie sei wie ein Bräutigam, der aus seiner Kammer trete, wie ein Mensch in seinem Zelt und wie ein Held, der seine Bahn um die Welt laufe und dessen Blick nichts Irdisches verborgen bleibe. Weil aber alles Irdische im Licht der Sonne offenbar wird, fällt der Blick wieder auf den Menschen zurück. Er steht vor Gott da als einer, der sich zu seinem Gesetz und seinen Geboten zu verhalten hat. Die innere Logik und Bewegung des Psalms führt somit vom Himmel und vom Weltall hin zur Erde und zum Menschen. Es lohnte sich für alle Beteiligten, in Konzert und Reflexionsgespräch dieser Dynamik zu folgen und sich ihrer interpretativen Kraft auszusetzen.
Die Chorleitung des Interreligiösen Chors Frankfurt liegt seit der Gründung in den Händen der evangelischen Kantorin Bettina Strübel und des jüdischen Chasan Daniel Kempin. Die Chorarbeit wird getragen von einem im Jahr 2014 ins Leben gerufenen Verein. Durch die Mitwirkung auch islamischer Sängerinnen und Sänger handelt es sich um ein Projekt, das dem Trialog, der Religionen und Kulturen dient. Die Chorarbeit trägt dazu bei, Verständnis füreinander zu erwecken, Gemeinschaft zu stärken und Frieden und Versöhnung zu ermöglichen.
Auch im Juni 2018 fand der Auftritt des Chors wieder starke Resonanz: Am 11.06.2018 besuchten ca. 280 Personen das Konzert des Chors im Gemeindesaal der Jüdischen Gemeinde in der Savignystraße, zwei Tage später nahmen mehr als 60 Personen an dem sich auf das Konzert beziehenden Reflexionsgespräch in der Evangelischen Akademie Frankfurt teil. Es diskutierten Herr Rabbiner Avichai Apel (Judentum), Prof. em. Dr. Rainer Kessler (evangelische Theologie) und Frau Mira Sievers (Islamische Theologie) unter der Leitung von Dr. Eberhard Pausch (Ev. Akademie Frankfurt). Die Diskussion, die diesmal in mehreren Etappen für das Publikum geöffnet wurde, zeigte das große Interesse der Anwesenden an zahlreichen Aspekten des Themas.
Europa in Bewegung - 1. Schülerakademie „Europa“ am 18. Juni 2018
Ein Jahr lang arbeiteten 20 Schülerinnen und Schüler der Philipp-Reis-Schule gemeinsam mit Studienleiterinnen der Evangelischen Akademie, ihrer Lehrerein Anika Voigt, Kolleginnen des CAES an der UAS Frankfurt und Trainerinnen an verschiedenen Fragestellungen zum Thema Europa. Am 18. Juni 2018 konnte dann mit der Unterstützung verschiedener Partner und der Förderung und des Fördervereins die erste Schülerakademie „Europa“ durchgeführt werden. Die Schülerinnen und Schüler, ihre Fragestellungen und Ideen standen dabei im Fokus. Welche Fragen interessieren euch? Was findet ihr spannend an Europa? Was bewegt euch?
Die SchülerInnen der Partnerschule hatten Workshopkonzepte erarbeitet und diese mit Unterstützung geladener ReferentInnen durchgeführt. Zu Gast waren über 100 weitere Schülerinnen und Schüler aus anderen Schulen. Den Auftakt der Veranstaltung füllte inhaltlich zunächst Staatsminister Weinmeister, der in einem Grußwort dafür dankte, dass sich junge Menschen wieder verstärkt für Europa einsetzen und einen positiven, aber durchaus auch kritischen Blick auf die aktuellen Entwicklungen werfen. Anschließend hatte der Schirmherr, Dr. Daniel Röder (Initiator von Pulse of Europe) das Wort und gab dem jungen Publikum einige motivierende Denkanstöße. Er skizzierte die Geschichte der Europäischen Zusammenarbeit als Ergebnis und Lehre aus der Kriegszeit und verband damit die Verantwortung in der heutigen Zeit, an diesem erfolgreichen Weg gegen Krieg festzuhalten und dafür einzustehen. Zudem motivierte er die jungen Teilnehmenden, die Ideen zur Tat, Aktionen, Kampagnen, die beim gemeinsamen Nachdenken enstehen können, auch wirklich umzusetzen. Nur so konnte er mit einigen Mitstreitern eine Initiative wie Pulse of Europe umsetzen. Zunächst einfach mal machen!
Vor und nach der gemeinsamen Mittagspause hatten die SchülerInnen dann viel Zeit für ihre Themen im Rahmen der Workshops. Abschließend wurden dir wichtigsten Erkenntnisse im Plenum gesammelt und den wichtigsten Akteuren des Tages – den Schülerinnen und Schülern gedankt.
Insgesamt war es beeindruckend, wie groß die Nachfrage und wie rege die Teilnahme an dieser ersten Version einer Schülerakademie war. Dieses Projekt soll auch im Schuljahr 18/19 durchgeführt werden. Derzeit sind wir auf der Suche nach einer neuen Partnerschule.
Wir bedanken uns ganz herzlich für die Unterstützung und würden uns freuen, wenn der Förderverein auch im nächsten Jahr eine erneute Schülerakademie unterstützen würde.
Johannisnacht 2018 - Sieben Revolutionen und ein Fußballspiel
Wenn eine Reihe von Redner/innen nacheinander mit einem jeweils genau 6:40 Minuten langen Vortrag in der Evangelischen Akademie auftritt, dann heißt das Schlagwort „Pecha Kucha“ und der Anlass Johannisnacht. Am 23. Juni lauschten auch in diesem Jahr zahlreiche Gäste gespannt den sieben Themen, die ihnen beim Sommerempfang der Akademie zum Oberthema „Revolution“ präsentiert wurden. Für besondere Begeisterung sorgte der jüngste Redner Felix Finkbeiner, 20 Jahre. Seine Mission, mit der Initiative „Plant for the Planet“ Bäume gegen den CO2-Anstieg zu pflanzen, fand unter den Zuhörern großen Anklang. Spannungsvolle Stimmung herrschte später am Abend während der Übertragung des WM-Spiels Deutschland gegen Schweden, bei dem die Fans der deutschen Mannschaft bis zuletzt zittern mussten. Ein bewegender Tagesausklang – und ein Anlass, schon einmal über das neue Halbjahresthema „Sportsgeist“ nachzudenken.
STADTVISIONALE 2018
"WOHNREVOLUTION"
Künstlerische Kurzfilme zum Wohnen in der Evangelischen Akademie Frankfurt
7. Juni 2018
Trotz eines vorausgegangenen Wolkenbruchs eines parallel stattfindenden Stadtlaufs verfolgten etwa 60 Personen den festivalartigen Abend der Stadtvisionale 2018 im wohltemperierten Veranstaltungssaal der Evangelischen Akademie Frankfurt. „Wohnrevolution“ lautete das Motto des Abends mit 11 künstlerischen Kurzfilmen zum Wohnen.
In seiner Begrüßung betonte Christian Kaufmann, der für das Projekt verantwortliche Studienleiter, dass die Akademie als Ort des Diskurses immer unterschiedliche gesellschaftliche Blicke auf Themen miteinander in Beziehung setze und an grenzgängerischen Fragen interessiert sei. Insofern liege ihr der künstlerische Blick auf die Stadt am Herzen, weil er imstande sei, andere Perspektiven auf scheinbar bekannte Strukturen zu legen, egal, ob soziale oder ästhetische und neue Zusammenhänge, neue Bilder zu schaffen.
Bewusst habe man das Medium des künstlerischen Kurzfilmes gewählt, da dieses Medium in konzentrierter zeitlicher Form Dinge auf den Punkt bringen müsse, und damit die Königsdisziplin des Filmemachens darstelle. Der Kurzfilm konzentriere experimentelle Bilder, die uns helfen würden, die Welt neu zu verstehen, uns selbst neu zu verorten, was angesichts drängender globaler Probleme ja auch immer wichtiger zu werden scheine.
Ein viel diskutiertes Thema sei das des Wohnens, zumindest in Ballungsräumen wie der Rhein-Main-Region. Für die einen mit Lifestyle verbunden, für die anderen existenziell und kaum mehr zu bezahlen. Ein Thema, bei dem eine gewisse gesellschaftliche Schieflage aufleuchten würde. Nie sei die Welt des Privaten so politisch wie heute gewesen, um einen Slogan der Frauenbewegung zu aktivieren. Die Gesellschaft brauche dringend einen neuen Blick auf das Thema und der Grenzgang der Kunst könne da wertvolle Hinweise geben.
Hervorgegangen war der Abend mit seinen 11 filmischen Beiträgen aus einem bundesweit ausgeschriebenen Wettbewerb, bei dem etwa 40 Beiträge eingereicht worden waren.
Eine Fachjury, die aus Grit Weber, Stellvertretende Direktorin des Museums angewandte Kunst in Frankfurt, Dr. Justus Jonas, Pressereferent und Kurator der Kunsthochschule in Mainz sowie Gerhard Wissner, Leiter des Kasseler Dok-Festivals, bestand, hatte die Beiträge ausgewählt und darunter auch den Preisträgerfilm der diesjährigen Stadtvisionale gefunden.
So vielfältig wie Alter und Herkunft der Filmemacher*innen waren auch die von ihnen gewählten Stilmittel und Inhalte, mit denen sie an das Thema „Wohnen“ herangetreten sind. Mindestens zwei von ihnen widmeten sich dem Motiv des Zwangs. So zeigte der Film „Zwang“ von Masha Novikova eine gedankliche Klaustrophobie und den Putzzwang einer behinderten Frau, den diese auf ihre Haushaltshilfe überträgt. Zwanghaft, wenn auch mit heiterem Unterton, der Film „Wohnhaft“ von Bernhard Marsch, der diesen selbst als dokumentarisches Porträt eines extensiven Wohners, dessen Universum aus den Fugen geraten ist, bezeichnet. Sehr poetisch dagegen der erste Filmbeitrag des Abends: das Video von Susa Templin, das in einem leerstehenden Haus im ungarischen Keszthely spielt. Hier werden die Zimmer zum Schauplatz performativer Handlungen, die sich um das Zeigen und Verbergen von Räumen, Möbeln und Körpern drehen. Die Fragen, „was ein Haus sagen würde, wenn es reden könnte, welche Geschichten es zu erzählen hätte, was passiert, wenn man einfach mal klingelt?“, beantwortete das Video von Anna Fechtig. – Genau dieses Fragen ließ dagegen das Video von Beate Gördes mit dem Titel „Als einer vom Kölnberg“ offen. Während die Tonspur einem Gedicht folgte, das einen Suizid vom Balkon eines Hochhauses in Köln beschreibt, tasteten die Bilder dessen unwirtliche und verschlossene Fassade ab.
Zunächst ebenfalls eher unzugänglich zeigten sich die rasterartigen Bilder und Oberflächen- Strukturen auf Sandra Webers Video „Surface Of Safety“. Ins Abstrus-Komische dagegen zielte die Geschichte auf dem Video von Lilli Lambert und Louisa Nübel, das die gewohnte Alltagsroutine wie auch gewohnte Rollenverteilungen – etwa bei Frühstücksritualen - in Frage stellte. Ebenfalls fremd erschien zunächst auch das Video von Nikola Kaloyanov, in dem eine junge Koreanerin (auf Koreanisch) von ihrem Leben in Deutschland erzählte. Der fremden Sprache (vermutlich) nicht mächtig, war man erst einmal auf die Bilder des Films verwiesen, während die deutsche Textübersetzung den Abspann des Films bildete.
Ungewohnte Bilder auch auf dem Video von Levent Kunt, der im Industriehafen von Rotterdam auf eine Art Bauernhof und Hühner in der Garage gestoßen war.
In Florian Schurz‘ Film „Über den Dingen“ schließlich verfolgte man ein Gespräch des Filmemachers, das dieser, hoch über den Dächern von Berlin mit einem muslimischen Kranführer und buchstäblich über Gott und die Welt führte.
Die Filme wurden in einzelnen Blöcken gezeigt, dazwischen entspannen sich Interviews mit den anwesenden Filmemacher*innen.
Am Schluss des Abends standen dann die Laudatio (gehalten von Grit Weber) auf den Preisträgerfilm sowie ein Gespräch mit dem Preisträger Rupert Jörg, dessen Film „Flurstrasse 2“ die Mitglieder der Jury überzeugt hatte. In diesem zertrümmert die Protagonistin in einer Art Befreiungsschlag das Mobiliar ihrer Wohnung. – Lustvoll und nicht ohne verhaltene Komik demontiert der Film die Vorstellung häuslicher Behaglichkeit.
Unterstützt wurde das Projekt von der IKEA Stiftung, der Stiftung Polytechnische Gesellschaft Frankfurt am Main, der Sparda-Bank Hessen sowie dem Förderverein der Evangelischen Akademie.
Christian Kaufmann
EAF
200 Jahre Mary Shelleys Frankenstein oder Der moderne Prometheus“
Lesung von Mechthild Großmann, Kommentare & Musik
Für den Bereich „Medizin & Ethik“ war diese Veranstaltung in der Evangelischen Akademie zweifellos der Höhepunkt des Jahres!
„Frankenstein“ gilt als die Symbolfigur für die Hybris menschlichen Forscherdrangs und hat bis heute nichts von ihrer Bedeutung verloren. Es genügt, in einer Debatte um medizinisch-biologische Forschung den Namen „Frankenstein“ zu erwähnen, um die Bedrohung durch Grenzüberschreitung des Forschers aufblitzen und ein (diffuses) Schreckensszenario entstehen zu lassen.
Dass der Roman vor 200 Jahren (zuerst anonym) erschienen ist, haben wir zum Anlass genommen, eine besondere Veranstaltung im Jubiläumsjahr durchzuführen. Dabei spielte es eine Rolle, dass nahezu jeder den Namen „Frankenstein“ kennt, jedoch so gut wie niemand den Roman gelesen hat. Der Roman setzt jedoch – im Vergleich zum Film – andere Schwerpunkte. Deshalb war es Ziel der Veranstaltung, dass der Roman durch ausgewählte Textstellen „entdeckt“ wird, um die aktuelle Bedeutung zu reflektieren.
Die Planung für die Veranstaltung begannen bereits ein Jahr zuvor. Zum einen ist es gelungen, die bekannte Schauspielerin Mechthild Großmann für die Lesung zu gewinnen. Frau Großmann war 40 Jahre Mitglied des Tanztheaters Pina Bausch und spielt u.a. seit 2002 die Rolle der Staatsanwältin Wilhelmine Klemm im Münsteraner „ARD-Tatort“. Mit ihrer beeindruckend tiefen Stimmen erwies sie sich als ideale Besetzung für die Lesung.
Gemeinsam mit Prof. Dr. phil. Kurt Bayertz, Professor für Philosophie an der Universität Münster, wurden - in intensivem Textstudium - die zu lesenden Passagen ausgewählt. (Von Frau Großmann, die als Schauspielerin auch viel Erfahrung mit Bücher-Lesungen hat, wurden wir ausdrücklich für die gelungene Textauswahl gelobt!)
Die Lesung gliederte sich in drei Teile, begleitet von Anmerkungen aus Medizin, Psychologie, Philosophie und Ethik.
- 1. Viktor Frankensteins Weg zur Erschaffung der Kreatur
- 2. Das Leiden der Kreatur und die Auseinandersetzung mit seinem Schöpfer
- 3. Sterben und Tod von Viktor Frankenstein
Das Modern Cello-Piano Duo aus Hamburg begleitete die Veranstaltung musikalisch.
Aspekte der Lesung
Unsere Vorstellung von dem aus Leichenteilen zusammengesetzten Wesen, das zum Leben erweckt wird, ist vor allem geprägt durch die klassische Verfilmung von James Whale aus dem Jahr 1931, in der Boris Karloff als „Monster“ die Rolle seines Lebens spielt und zur bekanntesten Kultfigur des Kinos im 20. Jahrhundert wird, zur wahren Ikone. Dieses Geschöpf hat jedoch nur wenig mit dem Wesen gemeinsam, das Mary Shelley in ihrem Roman beschreibt: Zwar sind beide von großer Statur und besitzen übermenschliche Kräfte, doch während in der Verfilmung von 1931 das Monster nicht sprechen, sondern nur knurren kann und ungelenk in einem viel zu kurzen Anzug und mit schweren Schuhen durch die Welt stapft, ist das Geschöpf in Shelleys Roman weitaus filigraner, extrem flink und gelenkig, geistig hoch entwickelt, äußerst reflektiert und wortgewandt. Seine bewegenden Monologe füllen ganze Buchkapitel. Als Autodidakt hat es sich innerhalb von zwei Jahren enormes Wissen angeeignet, es erzieht sich selbst, lernt lesen, liest Goethes Die Leiden des jungen Werther, John Miltons Das verlorene Paradies und Plutarch - und begreift, dass es, wie Adam, "ohne jede Verbindung zu einer anderen Lebensform" erschaffen wurde, aber anders als Adam „auch ohne jeden Schutz und ohne jede Möglichkeit der Erfüllung. Also beschließt es, auch das Glück seines Schöpfers, dessen Familie, zu zerstören“ (Kaube 2007). Was folgt ist eine gnadenlose Rachegeschichte.
Im Film wissen wir von Anfang an, dass von dem Monster eine Bedrohung ausgeht, da Igor, der bucklige Gehilfe Frankensteins (der im Roman nicht vorkommt), das „unnormale“ Gehirn eines Kriminellen aus dem Anatomischen Institut gestohlen und Frankenstein dieses Gehirn verwendet hat. Diese Idee stammt nicht aus dem Roman und exisitiert auch nicht in den Bühnenfassungen. Sie wurde von einem der beiden Drehbuchautoren in das Filmscript eingefügt. Deutlich wird eine bestimmte (zeitbedingte) psychopathologische Sicht, die Verbrechen und moralisches Fehlverhalten auf „unnormale“ und „abweichende“ geistige Eigenschaften zurückführt.
Das Monster trägt im Frankenstein-Film von 1931 somit von Beginn das Böse in sich und weicht damit fundamental von der Beschreibung im Roman ab, da bei Mary Shelley das Geschöpf unschuldig ist wie ein Kind. Es ist offen gegenüber der Welt, deren Werte und Regeln es (noch) nicht versteht. Tragischerweise muss es vom ersten Augenblick an Zurückweisung und Trennung erleben. Sein Schöpfer, der seine väterliche Bezugsperson hätte werden können, fühlt sich von seiner Häßlichkeit derart abgestoßen, dass er es schutzlos alleine zurück lässt. Diese Reaktion gründet nur im äußerlichen Erscheinungsbild der Kreatur und wird auch später im Kontakt mit anderen Menschen nicht dadurch verändert, dass das Wesen Sprechen und Lesen kann, über literarische Bildung verfügt und gute Taten vollbringt.
Gut von Natur aus?
Prof. Kurt Bayertz wies in seinem Kommentar darauf hin, dass der Roman der Frage nachgeht, wodurch das Böse - in Form von Gewalt und Hass - in die Welt kommt. Es ist dies die Frage der Aufklärung: Ist das menschliche Wesen von Natur aus gut und wird erst durch die Umwelt und die sozialen Einflüsse verdorben? Diese gesellschaftspolitisch umstrittene Frage bewegte auch Mary Shelleys Vater William Godwin, dem sie den Roman gewidmet hat, und sie ist ebenso bei ihrem Ehemann Percy Shelley zu finden: Wie kann aus einem Menschen, der gestern noch unterdrückt und unwürdig behandelt wurde, am nächsten Tag ein feinsinniger, toleranter und unabhängig denkender Mensch werden? Mary Shelley diskutiert diese Frage anhand der Lebensgeschichte des unglücklichen Geschöpfs: Wie kann jemand, der nie Liebe und Zuneigung erfahren hat, der nur abgewiesen wurde und nie am eigenen Leib erfahren durfte, was es heißt eine menschenwürdige Existenz zu führen, auf einmal menschlich handeln? Wie kann ohne Bezugsperson notwendiges Urvertrauen entstehen?
Lässt sich Mary Shelleys Erziehungsroman als bittere Antwort auf den Klassiker dieser Gattung lesen: auf Jean-Jaques Rousseaus Émile aus dem Jahre 1762? In diesem einflussreichen sozialtheoretischen Experiment wird der Waisenjunge Èmile nahezu komplett von den Einflüssen der Gesellschaft ferngehalten und durch einen männlichen Lehrer angeleitet und erzogen. Gezeigt werden sollten die positiven Effekte der privaten Erziehung gegenüber den negativen Einflüssen, die das Kind durch die Gesellschaft und öffentliche Bildungseinrichtungen im 18. Jahrhundert erfährt. Und wie Rousseaus Erzähler an seinem Zögling, so führt Shelley an der Kreatur Frankensteins ein Gedankenexperiment durch: eine Erziehung außerhalb der natürlichen Gemeinschaft.
Frau Dr. Susanne Markwort, Chefärztin der Klinik für Psychiatrie in Schlüchtern, erläuterte, dass Mitte des 20. Jahrhunderts die Entwicklungspsychologie diese Frage wieder aufnehmen und der Kinderpsychiater John Bowlby die fundamentale Bedeutung der Bindung und dramatischen Auswirkungen der Trennungserfahrung für die frühkindliche Entwicklung u.a. durch die Beobachtung der Auswirkungen der Trennung von Kleinkindern von ihren Müttern bei stationären Aufenthalten im Krankenhaus ins Bewußtsein rücken wird.
Im Roman und im Film erlebt das Geschöpf kaum Zuneigung. Hass und Gewalt erscheint letztlich als verständliche Reaktion auf erfahrenes Unrecht und Misshandlung. Dem Geschöpf wurde alles verwehrt, was es als schutzloses „Neugeborenes“ benötigte: Nahrung, Schutz, Sicherheit, Pflege, Gemeinschaft und Liebe.
Auch wenn derzeit die Geburt eines Menschen ohne weiblichen Körper bzw. Gebärmutter, d.h. nur durch (männliche) Technik, (noch) nicht möglich ist, so liegt die Aktualität der Fragestellungen auf der Hand: zahlreiche technische Eingriffe angefangen von künstlicher Befruchtung, Ei- und Samenspende, über Leihmutterschaft bis hin zu Eingriffen in die Keimbahn, die durch das neue CRISPR/Cas9-Verfahren am Horizont der Möglichkeiten erscheinen, wird deutlich, dass es zu einer Entfremdung in der Eltern-Kind-Beziehung kommen kann (nicht muss) mit möglicherweise fatalen Folgen. Mary Shelleys Frankenstein weist auf den Einschnitt in der Eltern-Kind-Beziehung hin, wenn das Kind mit seinem Aussehen, seinen Fähigkeiten, seine Gesundheits- und Krankheitsanlagen nicht mehr in guter Hoffnung als „Schicksal“ passiv empfangen, sondern als „Produkt geplant und bestellt“ wird. Was ist, wenn das Wunschkind die Erwartungen des „Elternteils“ nicht erfüllt? Darf man ein Lebewesen „zurückgeben“? Darf die Annahme eines von einer Leihmutter ausgetragenen Kindes verweigert werden? Darf ein durch CRISPR/Cas9 genetisch modifiziertes Kind sich selbst überlassen werden? Kann der Eingriff in die Keimbahn zu einer neuen Spezies Mensch führen, die im Laufe der Zeit von den „Unmodifizierten“ diskriminiert und ausgegrenzt wird? Das Bedrückende an Shelleys Geschichte ist, dass das Geschöpf nur in einer Kategorie „versagt“: der äußerlichen Gestalt. Andere Attribute wie Kraft, Sportlichkeit, Ausdauer, Klugheit, Wortgewandtheit, die es im Vergleich zu Anderen von diesen deutlich hervorhebt, können auch zusammengenommen das Geschöpf nicht vor Verfolgung und Mißhandlung schützen.
Gescheiterte Inklusion
Bezeichnend dafür, dass die Kreatur nie von anderen Menschen angenommen wurde, ist, dass es keinen Namen trägt. Nirgends im Roman (auch nicht in den Verfilmungen) wird das Wesen mit Namen angeredet. Es ist die Kreatur, das Monstrum, das Geschöpf, der Unhold, der Namenlose .... So lässt sich diese Erzählung von Mary Shelley auch als tragisches Beispiel einer gescheiterten Inklusion lesen, wobei es nicht an eigenem Bemühen, Bildung oder Spracherwerb mangelt. Es ist ein leidvoller und zugleich warnender Bericht über die Folgen erfahrener Intoleranz und Rassismus, die letztlich in Gewalt und hasserfüllte Rache umschlägt.
Fazit der Veranstaltung: Zeitlose Fragen
Das Frankenstein-Motiv ist zeitlos und kann auf unzählige Arten interpretiert werden. Das ist das Geheimnis des Romanerfolgs. Es geht sowohl um die Grenzen menschlicher Erkenntnis und den beständigen Wunsch, Gott nachzueifern. Es geht um das faustische Bestreben, für kurze Zeit der göttlichen Schöpfungskraft nahe zu sein und um die Tragik, der eigenen Verantwortung nicht gerecht werden zu können. Es geht um die „zwei Wesen in der Brust“, um die guten und schlechten Seiten der menschlichen Psyche; es geht um die Ausgrenzung von allem Fremdartigen, das Angst hervorruft. Die Erzählung ist eine Mischung aus Faszination und Schrecken, aus Traum und Albtraum, Schuld und Verantwortung.
Frankenstein ist zugleich ein Familien- und Bildungsroman, der schief läuft. Ein heimat- und staatenloses Waisenkind, verstossen von der eigenen „Familie“, misshandelt von der Gesellschaft, ausgestossen aus der Gemeinschaft, ignoriert von Recht und Gesetz. Ein namenloses Wesen, dass sich nach menschlicher Wärme und Zuwendung sehnt und Opfer der Ausgrenzung wird, aus Rache tödliche Vergeltung übt und selbst dem Untergang geweiht ist.
Anmerkungen
Im Vorfeld war von langer Hand geplant, dass ein Artikel zu „Frankenstein“ als Doppelseite in der Evangelischen Sonntagszeitung erscheinen wird (am Sonntag vor der Veranstaltung) und wenige Tage vor der Veranstaltung ein ganzseitiger Bericht zum Thema mit Interview und Hinweis auf die Veranstalötung im deutschlandteil der Frankfurter Rundschau (beide Beiträge sind im Anhang oder erhältlich).
Die Veranstaltung war ausgebucht.
HILFE? HILFE! WEGE AUS DER GLOBALEN KRISE
Thomas Gebauer und Ilja Trojanow im Gespräch
Lesung und Dialog
Die Distanz zwischen den Privilegierten und den Notleidenden ist trotz einer globalisierten Welt weiterhin gigantisch. Und dies, obwohl die Welt voller Projekte ist, die einen Missstand bekämpfen, eine Beschädigung zu heilen versuchen. Es braucht einen kritischen Hilfsbegriff, der zur Selbsthilfe animiert und dennoch grundsätzliche Veränderungen ermöglicht.
Thomas Gebauer, Psychologe und langjähriger Geschäftsführer der Hilfs- und Menschenrechts-organisation Medico International, und Ilija Trojanow, Schriftsteller, Verleger und Übersetzer, hinterfragen in ihrem Buch die vielen Facetten der Wohltätigkeit, von den Aktivitäten der Superreichen über die staatlichen Hilfen bis hin zu lokalen Initiativen.
Hierfür haben sie auf vier Kontinenten misslungene wie auch gelungene Ansätze von Hilfe recherchiert, die in Reportagen aus u. a. Pakistan, Sierra Leone, Kenia, Mexiko und Guatemala beschrieben werden. Sie durchdenken das ganze „System des Helfens“ und zeigen, was funktioniert und was nicht.
In der Sachbuchreihe «WortStark» haben Thomas Gebauer und Ilja Trojanow dieses System erstmalig vorgestellt und sind miteinander ins Gespräch getreten.
Am Ende gelangten sie zum Kern dessen, was Hilfe meint:
„Jede Reduktion von Ungleichheit ist Hilfe im besten Sinne des Wortes.“
Die Veranstaltung in Kooperation mit der EKHN Stiftung wurde moderiert von Stephan Hebel, Frankfurter Rundschau, und war mit über 200 Teilnehmenden gut besucht.
WELTINNENPOLITIK
CARL FRIEDRICH VON WEIZSÄCKER ALS FRIEDENSETHIKER
Zur Veranstaltung mit Frau Dr. Elisabeth Raiser, der Tochter des Physikers, Philosophen und Friedensethiker Carl Friedrich von Weizsäcker, kamen etwas mehr als 60 Gäste darunter auch ihr Ehemann, der Theologe und frühere Generalsekretär des Ökumenischen Rates der Kirchen, Prof. Dr. Konrad Raiser, sowie der ehemalige Direktor der Evangelischen Akademie Arnoldshain, Prof. Dr. Martin Stöhr.
Ein Film, in dem Frau Dr. Raiser selbst Regie geführt hatte, erzählte vom Leben und Wirken ihres Vaters. Es schloss sich ein ausführliches und intensives Gespräch zwischen Frau Dr. Raiser und dem Publikum an, in dem folgende Aspekte eine Rolle spielten:
Biographisches
Dazu gehören die Erfahrung des Dritten Reichs bzw. des Zweiten Weltkrieges als Auslöser für Carl Friedrich von Weizsäckers friedensethisches Engagement, aber auch der Ertrag der Arbeit im Institut am Starnberger See gemeinsam mit Jürgen Habermas zwischen 1971 und 1980 und schließlich auch sein später Lernprozess im Rahmen des Konziliaren Prozesses im Zusammenhang mit der Weltversammlung des ÖRK in Seoul 1990.
Friedensethische und friedenspolitische Grundfragen, die von Weizsäcker beschäftigten
Ist es möglich, die Institution des Krieges überhaupt abzuschaffen? Wie kann die nukleare Bedrohung der Menschheit, wie kann der „Atomtod“ verhindert werden? Sind 2% am Bruttoinlandsprodukt für die Entwicklungshilfe in Deutschland politisch jemals umsetzbar? Von Weizsäcker hatte diesen Anteil am BIP bereits 1969 gefordert.
Religiöse Aspekte bei von Weizsäcker
Welche Rolle spielte die christliche Religion sowie andere Religionen für ihn? Insbesondere die Bergpredigt Jesu hatte ihn offenbar sehr stark geprägt. Kann sie, sollte sie für friedenspolitisches Handeln maßgeblich sein?
Friedensethische Begriffe, die von Weizsäcker geprägt bzw. vorrangig verwendet hat
Hierzu gehören vor allem die Begriffe „Kreisgang“ (so lautet auch der Name des Films von Frau Dr. Raiser), „Weltinnenpolitik“ (= die Innenseite der friedens- und entwicklungspolitisch gedachten Globalisierung), „Fehlerfreundlichkeit“, „Luxurieren“ vs. Askese, „gerechter Friede“.
Ein gerechter Friede für Afrika?
Ist ein „gerechter Friede“ für Afrika denkbar? Ist er nicht sogar zwingend notwendig, wenn man aus einer Logik der „Weltinnenpolitik“ heraus denkt?
Die Diskussion hatte viele interessante Facetten und führte zu der fruchtbaren Erkenntnis, dass viele der Gedanken und Begriffe, die Carl Friedrich von Weizsäcker schon vor vielen Jahren geprägt oder verwendet hatte, auch heute noch von großer Relevanz sind. Etwa der Begriff „Weltinnenpolitik“. Von ihm her könnte die Debatte um Frieden, Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit geführt werden – nicht zuletzt auch im Blick auf unser Verhältnis zum Nachbarkontinent Afrika und die immer noch aktuelle Flucht- und Flüchtlingsfrage.
Tehillim-Konzert über Psalm 126 mit anschließendem Reflexionsgespräch im November 2018
Das 12. Tehillim-Konzert im Frankfurter Dominikanerkloster war mit etwa 350 Personen wieder herausragend gut besucht.
Psalm 126 lieferte das thematische Motto: „… sein wie die Träumenden“. Sehr schnell wurde der historische Hintergrund des Psalms erkennbar: die Lage des Volkes Israel am Ende des Babylonischen Exils. Nach mehr als vierzig Jahren der Gefangenschaft und der Bedrückung durften die Exilierten wieder zurückkehren nach Jerusalem. Einige taten dies sofort, andere waren zögerlich, einige wenige mögen sogar an den „Flüssen Babylons“ geblieben sein. Auf jeden Fall war es für das Volk Israel eine Befreiungserfahrung. Diese prägt die jüdische Frömmigkeit und Religion bis in die Gegenwart.
Im anschließenden „trialogischen Reflexionsgespräch“ mit Rabbiner Jehoshua Ahrens (Judentum), Prof. Rainer Kessler (Christentum) und Mira Sievers (Islam), das in der Evangelischen Akademie unter der Leitung von Studienleiter Dr. Eberhard Pausch stattfand, zeigten sich unterschiedliche Zugänge zum 126. Psalm. Während für das jüdische Verständnis dieser Psalm alle konkreten Befreiungserfahrungen in der Geschichte bis hin zur Neugründung des Staates Israel im Jahr 1948 symbolisiert, sehen viele Christinnen und Christen im Psalm vor allem einen Ausblick auf die endzeitliche Erlösung. Der Islam schließlich hat am wenigsten Zugang zu diesem Psalm, vor allem nicht in seiner geschichtstheologischen Interpretation. Wie Frau Sievers erläuterte, rechnet der Islam nach der Prophetie Mohammeds nicht mit einem direkten Eingreifen Gottes in die Geschichte. Diese laufe vielmehr im Rahmen der allgemeinen Naturgesetze nach geschichtlichen Gesetzen ab, was für das Handeln der Menschen Freiraum lasse und Planung ermögliche. Es wurden somit durchaus unterschiedliche Perspektiven auf den Mottopsalm deutlich. Allen drei Religionen gemeinsam aber bleibt die Theodizeefrage: Wie ist ein allmächtiger und allgütiger Gott mit dem Elend und Leiden der Menschen auf dieser Welt in Einklang zu bringen?
Junge Theologie – Science Slam 2018
Junge Wissenschaftler/innen präsentierten ihre aktuelle theologische Forschung auf der Bühne – klug, unterhaltsam, anregend. Fünf Beiträge standen auf der Agenda:
– Das erste Buch Mose als Krimi oder: Wie uns Filme beim Verständnis der Bibel helfen (Hans-Christoph Aurin)
– Leben wir mit FREI-RÄUMEN? Eine Reise in die ETHIK (Thorsten Leppek)
– Tatort Neues Testament: Spurensuche mit Sherlock Holmes (Andreas Pflock)
– Laktanz und die Gewalt – oder how to spot a persecutor (Gianna Zipp)
– Fluch und Segen religiöser Vorurteile. Warum das Projekt „religiöse Positionierung“? (Jens Trusheim)
Jeder Vortrag dauerte maximal 10 Minuten und am Ende entschied das Publikum, wer den „Apfel der Erkenntnis“ und 30 Flaschen köstlichen Wein – Edition Römerberg – nach Hause trug.
In diesem Jahr sollte der letzte auch der erste sein. Der Vortrag von Jens Trusheim aus Frankfurt überzeugte das Auditorium am meisten. Außer Konkurrenz und ebenfalls hoch gelobt trug Akademiedirektor Dr. Thorsten Latzel mit seinem Beitrag „Theologische Trotzgedanken – evangelische Unverfrorenheiten wieder den Tod“ zum Programm bei.
Untermalt von guter Musik bleibt am Ende mit 116 Teilnehmenden der Eindruck eines klugen, unterhaltsamen Veranstaltungsformates, das es schafft, die Ergebnisse aktueller theologischer Forschung einer breiten, insbesondere auch jungen, Öffentlichkeit zugänglich zu machen.
Die Evangelische Nachrichtenagentur Idea schreibt hierzu in Ihrem Bericht: „Schön war’s! Es war die hippste Disputation, seit es Doktorarbeiten gibt. In einem Jahr soll die Veranstaltung fortgesetzt werden. Und eigentlich sollte dieses Format für alle Doktorarbeiten Pflicht sein. Es zwingt zu Kürze und Klarheit. Denn was nützen die tiefsten theologischen Weisheiten, wenn sie keiner versteht?“
Junge Akademie 2018
Abschlusssymposium
Das Symposium der Jungen Akademie stellt den Schlusspunkt der Jungen Akademie dar, die 2018 unter dem Leitthema „Neustart! – Demokratie“ stand.
Es ging in diesem Rahmen um die Beleuchtung von drei unterschiedlichen Perspektiven auf die Frage, ob unsere Demokratie einen Neustart braucht und wie dieser aussehen könnte/müsste. Diese Frage wurde aus soziologischer, politologischer und „digitaler“ Perspektive bearbeitet. In den drei Impulsen wurde ausführlich dargestellt, wie aus der jeweiligen Disziplin das Thema erörtert werden kann. Hartmut Rosa setzt bei seiner These an, dass Demokratie ein Resonanzraum darstellen muss – was derzeit nur bedingt politische Realität ist. Er plädiert für einen Neustart, in dem auf Grundlage der gemeinsamen Motivation, die Gesellschaft voran zu bringen, über konkrete Ziele politischen Handelns und politischer Strukturen gestritten wird. Tanja Brühl setzt dagegen den Akzent auf die Frage, dass für eine starke Demokratie aktive Bürgerinnen und Bürger benötigt werden. Sie leitet daraus die Forderung ab, dass es vor allem einen „Neustart“ im Bereich der politischen Bildung geben müsste. Michael Seemann gab einen Einblick in die aktuellen Entwicklungen, die die Digitalisierung mit sich bringt. Die Rolle von Plattformen und der damit verbundene Kontrollverlust erfordert ein völlig neues Nachdenken, wie diese Prozesse sich mit demokratischen Strukturen verbinden lassen.
Die Vorträge der Impulsgeber/innen wurden mit kritischen Rückfragen von Stipendiat/innen und Mentor/innen der Jungen Akademie ergänzt und anschließend mit dem gesamten Publikum intensiv diskutiert.
Nach diesen drei inhaltlichen Schwerpunkten stand die Frage im Fokus „So what?“. Was machen wir mit den Erkenntnissen im Hinblick auf politisches Engagement junger Erwachsener? Hierzu gab es kurze Statements von Teilnehmenden der Jungen Akademie sowie der Referierenden, die in einem knackig moderierten Gespräch miteinander in Beziehung gesetzt wurden.
Den Abschluss des Symposiums bildete die feierliche Übergabe der Teilnahmebescheinigungen an alle Stipendiat/innen der Jungen Akademie.
Insgesamt gelang es – nicht zuletzt durch die Unterstützung des Fördervereins - hervorragend, durch die gewählten Methoden, die eingeladenen Referierenden und die Fragestellungen einen anregenden, kritischen und durchaus kontroversen Dialog zu kritischen Fragen der Demokratieentwicklung zu gestalten. Viele neue Fragen und Aspekte wurden aufgeworfen, an denen sich gut für zukünftige Veranstaltungen anknüpfen lässt.
Brexit und die Folgen
Wirtschaftspolitisches Forum
Ein dreiviertel Jahr vor dem angekündigten Brexit beschäftigte sich das wirtschaftspolitische Forum der Evangelischen Akademie am 25. Juni 2018 mit den ökonomischen und politischen Auswirkungen des bevorstehenden Austritts Großbritanniens aus der Europäischen Union. Worauf müssen wir uns in ökonomischer, währungspolitischer und sozialer Hinsicht einstellen? Wie wird sich der Brexit auf die Freizügigkeit in Europa auswirken sowie auf Arbeitsplätze beiderseits des Ärmelkanals? Diese Fragen standen im Zentrum des mit vorzüglichen Referent/innen besetzten Podiums. Ausgangspunkt der Diskussion war die europäische Dimension des Brexit. Gleichermaßen wurden die wirtschaftlichen und sozialen Auswirkungen auf Frankfurt – als Finanzstandort – und die Rhein-Main Region thematisiert. Die Brisanz des Themas spiegelte sich nicht zuletzt auch in dem immensen Publikumsinteresse. Obwohl die Veranstaltung am ersten Tag der hessischen Schulferien stattfand, füllte eine riesige Anzahl an Teilnehmenden den Großen Saal der Evangelischen Akademie. Der in London lebende Historiker und Journalist Thomas Kielinger hielt den Eingangsvortrag über die Zukunft Großbritanniens und der EU. Darin beleuchtete er die Hintergründe, die zu dem überraschenden Brexit-Votum am 23. Juni 2016 geführt hatten, und reflektierte über die derzeitige politische Situation sowohl im Hinblick auf die Verhandlungen zum Brexit mit der EU, als auch innerhalb der britischen Gesellschaft. Er stellte einige Prognosen über die weitere Entwicklung und deren Implikationen für die Regierung von Theresa May an. Auf dem Podium, das von der HR-Journalistin Franka Welz moderiert wurde, diskutierten die zu Europafragen ausgewiesene Politikwissenschaftlerin Michele Knodt, die an der TU Darmstadt den Jean Monnet Lehrstuhl innehat, der Vorsitzende der Deutsch-Britischen Gesellschaft Nicholas Jefcoat, der in Frankfurt als Finanzberater tätig ist, sowie der Brexit-Experte Johannes Schäfer von der Wirtschaftsförderung der Stadt Frankfurt und der aus Berlin angereiste stellvertretende Botschafter Großbritanniens Robbie Bullock. Am Ende der Veranstaltung war deutlich, dass der für Ende März angekündigte Brexit so massive und noch nicht voll abzusehende Auswirkungen auf die Zukunft Europas und Großbritanniens haben wird, dass das Thema Brexit und die Folgen ausgiebigen Gesprächsstoff für nachfolgende Veranstaltungen bieten wird.
Halbzeit: Die USA nach den Kongresswahlen
Die amerikanischen Kongresswahlen vom 6. November 2018 waren mit Spannung erwartet worden. Sie gelten als Stimmungsbarometer für die Zustimmung der US-Bevölkerung zur Politik des Präsidenten, da dessen Handlungsfähigkeit maßgeblich von der Sitzverteilung im Senat und im Repräsentantenhaus abhängt. Zwei Tage nach den „Midterms“ diskutierten der Politikwissenschaftler Martin Thunert vom renommierten Heidelberg Center for American Studies (HCA) der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg und die amerikanische Germanistin Priscilla Layne von der University of North Carolina im gut gefüllten Panoramasaal der Evangelischen Akademie mit dem Journalisten Andreas Schwarzkopf von der Frankfurter Rundschau über den Ausgang der Wahl und das gegenwärtige politische Klima in den USA. Die Veranstaltung wurde in Kooperation mit der Heinrich-Böll-Stiftung Hessen und der Frankfurter Rundschau durchgeführt. Einer der Aspekte, den Priscilla Layne in der Diskussion ansprach, war der zunehmende Anti-Intellektualismus, den sie in ihrem Land beobachtet. Staatlichen Hochschulen wie im Bundesstaat North Carolina würden die öffentlichen Mittle drastisch gekürzt, sagte sie. Wozu man überhaupt die Geisteswissenschaften brauche, werde in dem republikanisch dominierten Bundesstaat häufig gefragt. Humanistische Bildung werde geringgeschätzt, und man werde bejubelt, wenn man wie Donald Trump keine Bücher lese. Ein weiteres Thema der Diskussion war die Spaltung der amerikanischen Gesellschaft. Der Politikwissenschaftler Martin Thunert konstatierte, dass es kein Patentrezept gebe, mit dem sich diese tiefe Kluft in den nächsten Jahren überwinden lasse. Donald Trump, so meinte er, habe jedenfalls kein Interesse daran, weil er wisse, dass er nur in einer polarisierten Atmosphäre erfolgreich sein könne. In der herausragend substantiellen Podiumsdiskussion kamen Einschätzungen aus dem Bereich der Demokratieentwicklung zu Sprache, es wurde über Rassismus und Menschenrechte, die Einwanderungspolitik wie auch die Bildungspolitik gesprochen, nicht zuletzt auch über das transatlantische Verhältnis und die Wirtschaftsbeziehungen. Die unterschiedlichen Gesichtspunkte und Argumente fügten sich zu einem differenzierten Amerikabild zusammen, welches die in Deutschland geführte USA-Diskussion um wichtige Dimensionen ergänzte.